Artikel-Schlagworte: „Stefanie Hattel“

Liebe Leserinnen und Leser!

Autor und Übersetzer, der Schriftsteller und sein Sozius – ein Paar, das gemeinsam Weltliteratur schreibt. Die Idee der gemeinsamen Urheberschaft prägte Jorge Luis Borges, der den Übersetzer in seinen Harvard-Vorlesungen in die Zunft der Schriftsteller aufnahm und darum der ersten Ausgabe der ReLü seine Stimme lieh. Jean-Philippe Toussaint betonte in Ausgabe 2 die enge Zusammenarbeit mit seinen Übersetzern. Internationale Arbeitstreffen gehören für ihn längst zur Routine seines Arbeitsablaufs. Schriftsteller und Übersetzer, sie arbeiten beide an der Sprache und gegen die Sprachlosigkeit. Mit einem Unterschied: Der Schriftsteller darf sich Sprachlosigkeit schon mal leisten, der Übersetzer nicht. Schriftsteller bringen Geschichten zu Papier, Übersetzer bringen sie zur Sprache.

Pointiert zur deutschen Sprache gebracht hat Marcus Ingendaay Clifford Chase‘ schräge Parodie auf den Antiterrorkampf der USA, Winkie. Hans Terre überträgt den amerikanischen Slang in Iain Levinsons Wirtschaftskrimi Since the Layoffs gemäß der hierzulande geltenden Konvention ins Hochdeutsche: Betriebsbedingt gekündigt. Brigitte Lindeckes deutsche Fassung der italienischen Love-Story Ho voglia di te – Ich steh auf dich macht die Illusion einer deutschen Urheberschaft dagegen perfekt. Gelegentlich entsteht aus gemeinsamer Urheberschaft auch autonome Autorschaft, wie das Beispiel Ingo Herzkes zeigt, der in der Übersetzung von Edward St. Aubyns Never Mind Schöne Verhältnisse den Zynismus einer britischen Upperclass-Familie als Aphoristiker zumindest salonfähig macht.

Ungeachtet des Sujets gelingt es Übersetzern, trotz verschiedener Idiome eine gemeinsame Sprache zu sprechen und über die gemeinsame Sprache den Lesern beider Idiome einen gemeinsamen Raum zu öffnen. Übersetzen ist daher keine ausschließlich literarische Fertigkeit, sondern eine Kulturtechnik – der soft skill für die (literarische) Weltgemeinschaft.

Viel Vergnügen mit der fünften Ausgabe von ReLü wünscht Ihnen

Stefanie Hattel für die ReLü-Redaktion

Buchcover
Stefanie Hattel über
Der Herr der Wolken von Stéphane Audeguy
aus dem Französischen übersetzt von Elsbeth Ranke
Einem Menschen einen Namen zu geben, heißt, sich ein Bild von ihm zu machen. Er kann diesem Bild fortan entsprechen, er kann ihm aber auch nicht gerecht werden. Die Dinge zu benennen, ihnen einen wissenschaftlichen Namen zu geben, heißt, sich einen Begriff von ihnen zu machen, heißt zu verstehen versuchen. So lautet im Groben einer der Erfahrungssätze aus „La Théorie des Nuages“ (2005), dem Roman mit dem der Franzose Stéphane Audeguy in Frankreich zum Kritikerliebling wurde, in Deutschland allerdings auf wenig Gegenliebe stieß. Als „Abenteuer-Wissenschaftsroman“ erschien er 2006 bei SchirmerGraf in der Übersetzung Elsbeth Rankes unter dem Titel „Der Herr der Wolken“ – ein Titel, der ein trügerisches Bild entwirft.

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Liebe Leserinnen und Leser!

„Nur Handke schreibt noch so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, sagt Georges-Arthur Goldschmidt, der französisch-deutsche Autor und Übersetzer Handkes, und ehrt damit seinen Schriftstellerkollegen – wie er Wahlpariser – als einen der wenigen deutschen Literaten, die sich ihre eigene Sprache bewahrt haben. Im wahren Leben, in Frankreich wie in Deutschland, war es genau diese Eigenwilligkeit, die ihn um Rang und Ehre brachte:
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Stefanie Hattel im Interview mit
Jean-Philippe Toussaint
Im Juli 2005 folgte der belgische Autor Jean-Philippe Toussaint der Einladung Prof. Dr. Hans T. Siepes zu einem Workshop mit Nachwuchsübersetzern des Studiengangs Literaturübersetzen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Anschluss nahm er sich Zeit für dieses exklusive Gespräch mit ReLü.

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Stefanie Hattel über
Schrei! von Hélène Duffau
aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große
Hélène Duffaus psychologischer Roman nähert sich dem Trauma einer Vergewaltigung mit der methodischen Kälte einer Selbstanalyse. Das Grauen jener Nacht ist in ihrem Kopf immer präsent, doch auf dem Papier spart die Erzählerin es aus. Sie will keine Bilder, die das Erlittene aufleben lassen. Sie will sich der Macht ihrer inneren Bilder entziehen. So wählt sie die Abstraktion. Brigitte Große hat es ins Deutsche übersetzt.

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Stefanie Hattel über
Das Badezimmer von Jean-Philippe Toussaint
aus dem Französischen übersetzt von Joachim Unseld
Die Inszenierung einer Weltverweigerung in drei Teilen: Der Ich-Erzähler kehrt der Welt den Rücken und zieht sich bis auf weiteres in sein Badezimmer zurück. Er kehrt Paris den Rücken und lässt sich durch Venedig treiben. Er kehrt nach Paris und in sein Badezimmer zurück. Resolut verankert Übersetzer Joachim Unseld die Objektwelt des Romans im französischen Kulturraum. Stilisierung lautet sein Prinzip. Wie Toussaint mit der Erzähltradition spielt er mit Übersetzungsstrategien und Stilregistern und meistert souverän den französischen Sprachgebrauch. Bisweilen liest sich Das Badezimmer in der Neuübersetzung wie ein gelehrter, aber vergnüglicher Kommentar.

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