Lothar Schröder, Feuilletonredakteur bei der Rheinischen Post, im Gespräch mit ReLü über den Stellenwert von Literaturkritik und über die Frage, warum Übersetzungskritik in den herkömmlichen Medien selten Platz findet.
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„Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn“, so ein Gedanke bei Jorge Luis Borges. Denken mit fremdem Gehirn? Das klingt reizvoll, spannend, abenteuerlich, jedoch stößt ein deutscher Leser, zumindest bei übersetzter Literatur, vermutlich schnell an die eigenen Grenzen: Sind doch in einem fremden Gehirn nicht bloß aufregende, fremde Gedanken, sondern in erster Linie fremde Sprachen enthalten. Schrieb Borges etwa deutsch? Nein, aus Borges’ Mund würde dieselbe Aussage vielmehr lauten: „Leer es pensar con un cerebro ajeno.“
Der Umschlag des Buches lässt kaum Platz für Zweifel - im Inneren verbirgt sich eine von vielen perfekten Spätsommerlektüren. Das Übliche. Doch entgegen dieser Erwartung taucht der Leser ein in eine Welt, in der Blutweiderich wächst und Schwammspinner zur landschaftsüblichen Fauna gehören, in der knorrige Charaktere die raue Szenerie beleben und verstörte Kinder mit Essen ihre Wände bemalen. Eine Übersetzung, über deren Wortgewalt der Inhalt des Buches beinahe in den Hintergrund rückt...
Zurück ist kein Krimi und doch fühlt sich der Leser wie ein Detektiv, der versucht herauszufinden, was sich zwischen den Zeilen abspielt. Zurück ist auch kein Thriller und in jedem gewöhnlichem Krimi werden mehr Grausamkeiten in einem Nebensatz abgehandelt. Trotzdem geht die Geschichte unter die Haut. Dabei ist Zurück eigentlich nur eine Geschichte über eine Familie und ihre Bemühungen nach ihrer Rückkehr aus Uruguay in Frankreich heimisch zu werden.
Ist es nicht so? Wer am lautesten über Sex redet, der hat selbst keinen. Dino, Ben und Jonathon erfüllen das Klischee perfekt, denn ein anderes Gesprächsthema scheinen sie nicht zu haben. Bei ihren Versuchen, die Sache mit dem Sex endlich mal auf die Reihe zu kriegen, stolpern die Jungs von einer haarsträubenden Situation in die nächste. Ein Roman über Jugendliche, (nicht nur) für Jugendliche.
Salie hat den Senegal verlassen und lebt in Strassburg. Am Telefon schwärmt ihr Bruder ihr vor, wie gerne er als Profifußballer nach Frankreich kommen würde. Daraufhin versucht Salie, ihn davon zu überzeugen, dass Frankreich nicht das Paradies ist, das er und seine Freunde sich ausmalen.
In ihrem neusten Roman Das Kind im Turm (La Chambre) erzählt Françoise Chandernagor einen Fall von Kaspar Hauser, ein Lehrstück über Sprachverfall, ein Historienstück über die Terrorherrschaft Robespierres und ein dunkles Kapitel französischer Nationalgeschichte: Die Geschichte von Louis Charles, dem achtjährigen Sohn Louis XVI, der in einem Zimmer eingeschlossen dahinvegetiert, bis er schließlich blass und einsam stirbt. Frappierend dabei nicht nur der Inhalt der Geschichte, sondern besonders die gravierenden Streichungen in der deutschen Übersetzung, die dem Buch ebenso das Leben aussaugen wie die Einsamkeit dem kleinen Louis Charles.
Es mag ja sein, dass der Roman Ich habe sie geliebt von Anna Gavalda schlecht ist, wie Hubert Spiegel befunden hatte (FAZ vom 26.4.2003), als er zugleich auch die deutsche und französische Literaturkritik zu Gavalda kritisierte. Aber auch er wird sich an seinen eigenen letzten Sätzen messen lassen müssen: "Darf man Kritiker an den Büchern messen, die sie loben [bzw. verreißen]? Man muß."
Die Inszenierung einer Weltverweigerung in drei Teilen: Der Ich-Erzähler kehrt der Welt den Rücken und zieht sich bis auf weiteres in sein Badezimmer zurück. Er kehrt Paris den Rücken und lässt sich durch Venedig treiben. Er kehrt nach Paris und in sein Badezimmer zurück. Resolut verankert Übersetzer Joachim Unseld die Objektwelt des Romans im französischen Kulturraum. Stilisierung lautet sein Prinzip. Wie Toussaint mit der Erzähltradition spielt er mit Übersetzungsstrategien und Stilregistern und meistert souverän den französischen Sprachgebrauch. Bisweilen liest sich Das Badezimmer in der Neuübersetzung wie ein gelehrter, aber vergnüglicher Kommentar.
Spannung und Sprachwitz in Spanien. Genauer gesagt, im Spanien des 20. Jahrhunderts. Bei dem Versuch eines zehnjährigen Jungen, das Geheimnis zu lüften, das sich um ein Buch rankt, entsteht eine äußerst spannende, sprachgewandte und verworrene Geschichte über die Liebe, das Leben und die Wirren des spanischen Bürgerkriegs sowie der Nachkriegszeit.
Entfliehen kann man diesem Ereignis nicht. Es trifft jeden von uns. Den einen früher, den anderen später. Wer es nicht schon hinter sich hat, dem steht es noch bevor. Der Tod der Eltern ist eine Bruchstelle in unserem Leben. In den meisten Fällen gibt es zudem noch eine ganz praktische Aufgabe zu bewältigen: Das Haus oder die Wohnung der Eltern muss aufgelöst werden. Die Psychoanalytikerin Lydia Flem hat ein Buch über dieses sehr persönliche und zugleich universelle Thema geschrieben.
Wie gelangte die Vielfalt an Literatur aus Lateinamerika trotz Bespitzelung und Kontrolle ins "Leseland" DDR? Jens Kirsten schildert die Machenschaften des berühmt-berüchtigten Spitzels "IM Roiber" sowie die beharrlichen Bemühungen engagierter Verlagsmitarbeiter und Herausgeber um politisch nicht genehme Autoren. Und er zeigt auf, dass bei aller Einschränkung doch auch viel Pioniergeist möglich war.