Lothar Schröder, Feuilletonredakteur bei der Rheinischen Post, im Gespräch mit ReLü über den Stellenwert von Literaturkritik und über die Frage, warum Übersetzungskritik in den herkömmlichen Medien selten Platz findet.
ReLü: Welchen Stellenwert hat Literaturkritik in einer Tageszeitung wie der Rheinischen Post? Wie viel Platz ist dafür vorgesehen?
Lothar Schröder: Die Rheinische Post trägt immerhin in Ihrer Unterzeile auf Seite 1 den Titel „Zeitung für Politik und christliche Kultur“. Das ist natürlich eine Art kleines Programm, ein Versprechen, ein Anreiz, eine Ankündigung, wie auch immer. Auf jeden Fall will man zeigen, dass uns Kultur wichtig ist. Nun ist die Rheinische Post eine Tageszeitung, in der (fast) alle Themen Platz finden. Und diese stehen in einer natürlichen Konkurrenz zueinander. Wenn Sie mich fragen: Natürlich ist die Literatur beziehungsweise die Literaturkritik das absolut Wichtigste im Blatt. Fragen Sie meine Kollegen, die für Musik, Theater, Bildende Kunst oder Kino zuständig sind, hören Sie höchstwahrscheinlich schon andere Urteile. Und wie das erst in den Ressorts Wirtschaft, Sport oder der Politik aussehen wird! Das heißt: Ich muss mich begnügen. Das heißt aber auch: Ich muss mich anstrengen, um Literatur so spannend und interessant wie nur eben möglich „ins Blatt zu bringen“. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Was zum Standard gehört: Wir haben in der Rheinischen Post alle zwei Wochen eine Buchseite – mit drei Rezensionen, Buch-Tipps, einer Hörbuchbesprechung sowie einer Bestellerliste. Außerdem wöchentlich auf der Kulturseite einen Krimitipp sowie ein Jugendbuch. Und zwischendrin auf der aktuellen Kulturseite immer wieder Besprechungen großer Neuerscheinungen (Roth, Rushdie, Coelho, Grass und Co.) sowie Interviews mit Autoren (Roth, Rushdie, Coelho, Grass und Co.) oder Autoren-Porträts (Roth, Rushdie, Coelho, Grass und Co.). Manchmal (aber seien wir ehrlich: selten) kommt Literatur auf den „Edelplatz“ von Seite 1 und als Kommentar auf Seite 2. Aber ich antworte, glaube ich, eine Spur zu lang.
Gibt es dabei Raum für Übersetzungskritik?
Nein. (Damit wäre praktisch alles gesagt, dennoch: Raum gäbe es vielleicht, nicht aber die Bereitschaft eines Kritikers – wohlgemerkt bei aller fremdsprachlicher Kompetenz -, erst das Original und dann die Übersetzung zu lesen, um darüber vielleicht nur 50 bis 60 Zeilen zu schreiben. Das ist, sorry für das Wort: unökonomisch und einfach nicht zu leisten. Ausnahmen sind spektakuläre Neuübersetzungen etwa von Fänger im Roggen oder Moby Dick. So – Klammer zu!) Noch ein Mini-Zusatz: Vor diesem Hintergrund ist ReLü wahrscheinlich die erste große Übersetzungskritik-Plattform (schauderhaftes Wortgebilde).
Glauben Sie, dass es die Leser überhaupt interessiert, wenn ein Buch übersetzt ist?
Zumindest bekommt der Leser mit, dass der Autor aus einem anderen Literatur- und Lebensumfeld stammt. Ob er sich für den Übersetzer interessiert, weiß ich nicht. Kann ich mir aber nicht so recht vorstellen. Und ob er sich für die Übersetzung selbst interessiert? Wahrscheinlich nur, wenn er glaubt, einen schlimmen Fehler entdeckt zu haben.
Wie gehen Sie selbst in Ihren Rezensionen mit Übersetzungen um?
Ich kann sie kaum würdigen. Wir versuchen wenigstens, den Namen des Übersetzers abzudrucken.
Würden Sie für mehr Übersetzungskritik plädieren? Wo könnte dafür Raum sein?
Das Leser-Interesse wird wohl nie so recht der Übersetzung gelten. Das ist ein Spezialthema für Leute mit wirklich sehr guten Fremdsprachenkenntnissen und für Experten. Aus diesem Grund ist es ja auch sinnvoll und gelungen, die Übersetzungskritik ins Internet zu stellen. Dort wird sich bald die passende Leser-Gemeinde finden. Ein Print-Medium für Übersetzungskritik dürfte wegen der überschaubaren Auflage kaum bezahlbar sein. Damit will ich zum Schluss des Interviews und zum Start ihres Projekts eigentlich nur sagen: Sie haben alles richtig gemacht!