Ein Insekt unter der Glasplatte des Schreibmaschinendisplays bringt eine Autorin aus ihrer Routine, ein weißer Universitätsprofessor sucht nach möglichen schwarzen Vorfahren, eine Frau besucht nach dem Tod ihres Mannes dessen frühere schwule Affäre, eine weitere Protagonistin riecht die Geliebte ihres Mannes in seinem Nacken, wieder eine andere hört sie im Spiel seines Cellos, ein Träumender trifft Tote – auf den ersten Blick scheinen diese Erzählungen der Kurzgeschichtensammlung Beethoven was one-sixteenth black der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer keinen Zusammenhang zu haben.
Doch bei genauerer Betrachtung haben sie einiges gemein: Ausgehend von einem kleinen Detail entspinnen sich die ungewöhnlichsten und doch nicht abgehobenen Geschichten über menschliche Ängste und Beziehungen. Auch der Kontinent Afrika und die Thematik der Hautfarbe verknüpfen die Kurzgeschichten miteinander; sie tauchen in nahezu jeder auf, mal vordergründig, wie in der Titelgeschichte „Beethoven was one-sixteenth black“, oft aber auch hintergründig, unauffälliger und unaufdringlicher, als es der Titel des Buches vielleicht erwarten ließe. So liest man unter anderem von einem Bandwurm, der von seinem Wirt arglistig aus dessen Körper vertrieben wird, einem Papagei als Mittelpunkt eines französischen Restaurants oder einer Tochter, die erkennt, dass nicht die passende DNS den Vater ausmacht.
Eine besondere Verbindung zwischen den Kurzgeschichten schafft auch das Versagen der Sprache, das in allen thematisiert wird, sei es zentral oder eher im Hintergrund. Sprachprobleme tauchen immer wieder auf, wie beispielsweise in „Mother Tongue“, der Erzählung über eine Deutsche, die mit ihrem Mann nach Afrika gezogen ist; der dort gesprochene, für sie fremde Mix aus Englisch und den verschiedenen afrikanischen Sprachen lässt sie sich selbst in Gesellschaft einsam fühlen. In anderen Geschichten, wie in „The First Sense“, wird schon einmal der Sport zur einzigen lingua franca, oder Musik und Gerüche dienen, wie in „The Second Sense“ und „The Third Sense“, dort als Kommunikationsmittel, wo Sprache versagt.
Jede der dreizehn Geschichten besticht durch den trockenen und knappen Stil der Autorin. Der Übersetzer Malte Friedrich, der unter anderem Margaret Atwood und James Salter aus dem Englischen überträgt, hat es hier häufig mit elliptisch geprägten Sätzen zu tun, ferner mit einem manchmal sarkastisch-witzigen Ton, schnellen Registerwechseln von flapsig zu ernst oder sachlich, Sprüngen zwischen direkter, indirekter und erlebter Rede selbst innerhalb eines Satzes und aussagekräftigen Formulierungen, die Bilder und Situationen scharf und gleichzeitig poetisch einfangen – es gelingt ihm, diese Aufgabe souverän zu bewältigen und viele dieser Besonderheiten in der deutschen Übersetzung beizubehalten.
„How could bureaucratic processes […] reach the void, silence: worse, a gust of images, tossing up thirst, hunger, parched desert, tropical deluge“ – Malte Friedrich stand wohl oft vor der Frage, wie viel Abgehacktheit er seinen Lesern zumuten kann. „Wie konnten bürokratische Abläufe […] die Leere, das Schweigen erreichen? Schlimmer noch waren die wie von einer Bö hergewehten Bilder von Durst, Hunger, ausgetrockneter Wüste, tropischen Überschwemmungen“. Hier bemüht er sich zwar, den besonderen Stil der Autorin auch im Deutschen zu bewahren, der Textausschnitt wirkt jedoch gleichzeitig etwas weniger „holprig“. Auch an anderen Stellen, wie „His own pyre. Somehow consumed himself“, die mit „Sein eigener Scheiterhaufen. Er hatte sich irgendwie selbst verzehrt“ umgesetzt wird, findet sich dieser Mittelweg zwischen ausformuliert und abgehackt. Insgesamt verliert Nadine Gordimers elliptische Sprache, die den Leser aus seinem Lesefluss reißt und zum Innehalten und Nachdenken zwingt, also einen Teil ihrer Wirkung.
Stellenweise schleichen sich auch kleinere Fehler in die deutsche Übersetzung. Ein Philosoph wird zu einem Philologen oder ein umgangssprachliches „selber“ rutscht in einen ansonsten in gehobener Sprache gehaltenen Kontext. Solche Kleinigkeiten fallen aber im Hinblick auf den Gesamteindruck des Buchs kaum ins Gewicht. Manchmal muss sich der Übersetzer allerdings auch der Unübertragbarkeit sprachlich besonders treffend formulierter Bilder beugen, wie bei „a country landscaped by his words“, das mit „ein Land geformt von seinen Worten“ nicht in seiner ganzen Schönheit gerettet werden kann.
Malte Friedrich hat die Herausforderung einer in vielerlei Hinsicht anspruchsvollen Übersetzung der Kurzgeschichten sehr gut gemeistert. Auch der deutsche Leser kann sich von der Schabe Gregor unter dem Schreibmaschinendisplay und dem zu einem Sechzehntel schwarzen Beethoven faszinieren lassen, obgleich sowohl das englische Original als auch die deutsche Übersetzung aufgrund ihrer Sprache und Thematik wohl nicht die leichteste Kost sind.
Nadine Gordimer: Beethoven war ein Sechzehntel Schwarz, übersetzt von Malte Friedrich, Berlin: Berlin Verlag 2008, 173 Seiten, Preis: 19,90 €
Nadine Gordimer: Beethoven was one-sixteenth black, London: Bloomsbury 2007, 178 Seiten, Preis: £ 8,99
Nadine Gordimer, die am 20. November 1923 geborene südafrikanische Schriftstellerin, schreibt in ihren Romanen und Kurzgeschichten zumeist über die südafrikanische Apartheidpolitik und deren Auswirkungen bis heute. Unter anderem erhielt sie 1947 den Booker Prize und 1991 den Nobelpreis. Ihre Werke sind in über 30 Sprachen übersetzt.
Malte Friedrich übersetzt neben der südafrikanischen Nadine Gordimer unter anderem James Salter aus dem Amerikanischen und Margaret Atwood aus dem Kanadischen ins Deutsche.
Katrin Segerer studiert derzeit im dritten Semester den Diplomstudiengang Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.