„Ich bin kein netter Mensch“, gibt Anne Fines Protagonistin Tilly in dem Roman Raking the Ashes (Feuer und Asche) offen zu – und hat damit zweifellos Recht. Schon in der Grundschule kramte sie jede Nacht ihren Kerzenstummel aus dem Versteck, zündete ihn an und betete darum, dass Ingrid Molloy das Zeitliche segnen möge, denn die war alles, was sie schon immer sein wollte: blond, hübsch und clever. Mittlerweile ist Tilly eine junge Frau, die als Ingenieurin auf einer Bohrinsel arbeitet, bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich hat und nicht erst seit der Scheidung ihre Liebhaber wechselt wie andere Leute ihre Unterwäsche. Doch dann begegnet sie Geoffrey und der ist mehr als eine Affäre. Aufmerksam, gutmütig und treu scheint er der perfekte Mann zu sein – bis er mit seinen beiden Kindern bei Tilly einzieht…
Was in den ersten Kapiteln wie eine nette Komödie aussieht, entpuppt sich als Satire, in der Handlungen und Eigenschaften der Protagonisten aufs Äußerste überspitzt werden. Durch ihre präzise Art, Menschen und ihr Verhältnis zueinander zu beschreiben, veranschaulicht Anne Fine für die heutige Zeit typische Beziehungsprobleme. Im Mittelpunkt steht das Zusammenleben in einer Patchwork-Familie, in der die Kinder von den Erwachsenen manipuliert werden und selbst manipulieren, so dass sich Täter- und Opferrolle oft nicht mehr klar voneinander trennen lassen. Auch hinter Geoffreys scheinbar gutmütigem Charakter verbirgt sich bei genauerem Hinsehen eine konfliktscheue Bequemlichkeit, die der Beziehung nicht weniger schadet als Tillys offensichtliche Boshaftigkeit. Ein mehrfach thematisiertes Problem ist Tillys und Geoffreys unterschiedliche Haltung bezüglich traditioneller Geschlechterrollen, die vor allem dann zu Auseinandersetzungen führt, wenn sich Tilly in die Erziehung von Geoffreys Kindern einmischt.
Tilly überlegt im Laufe des Romans mehrfach, die Beziehung zu beenden, und zieht sich zum Nachdenken in die Natur zurück. An diesen Stellen bekommt der Roman eine philosophische Note: „In sets that sense of being tiny in the universe. An ant. An apple pip. […] you look at all those waves and think, I am a blink in time.“ Die sonst so wenig literarische Sprache („Fuck you. And fuck your ex-wife.“) wird hier metaphorisch und damit sogar ein wenig poetisch. Dies wird auch in Ulla Kösters‘ Übersetzung mit dem Titel Feuer und Asche beibehalten, die vor allem dadurch überzeugt, dass sie sehr frei und idiomatisch ist: „Und schon wird man von diesem Gefühl überrollt, nur ein winziges Rädchen im Universum zu sein. Eine Ameise. Ein Sandkorn. […] Man sieht all diese Wellen und stellt fest, dass man nichts weiter als ein unmerklicher Lidschlag in der Welten Lauf ist.“
Besonders positiv hervorzuheben ist auch die kreative Übersetzung von „I see. […] Man does, but woman is?“, als Tilly kritisiert, dass Geoffrey seiner Tochter Haarspangen und seinem Sohn ein kompliziertes Puzzle schenkt. Ulla Kösters macht daraus: „So ist das also: Der Mann kriegt was fürs Hirn, die Frau fürs Haar.“ Diese Kreativität fehlt allerdings an einer Stelle am Anfang des Romans, als die Übersetzerin ein Wortspiel übernimmt, das im Deutschen nicht logisch erscheint: Im englischen Original amüsiert sich Tilly über den Druckfehler „Gold Almighty“ in einem Kirchenheft. In der deutschen Fassung hingegen unterscheidet sich „Gold“ von „Gott“ so deutlich, dass dem Leser ein solcher Druckfehler sehr unwahrscheinlich vorkommen dürfte.
Insgesamt handelt es sich aber um eine absolut gelungene Übersetzung, bei der die Sprache nichts von dem Wechsel zwischen Poesie und Bissigkeit einbüßt und auch die spezifischen Eigenheiten der Charaktere ebenso wie im Original vermittelt werden: Tillys Verhalten ist und bleibt nicht nett, aber während sie von Anfang an ehrlich dazu steht, entpuppt sich der scheinbar perfekte Geoffrey erst im Laufe des Romans als Mogelpackung. Es ist eben nicht alles Gott, was glänzt.
Anne Fine: Feuer und Asche, übersetzt von Ulla Kösters, Zürich: Diogenes 2008, 272 Seiten, 8,90 €
Anne Fine: Raking the Ashes, London: Bantam Press 2005, 320 Seiten, £ 16,99
Anne Fine, 1947 in Leicester geboren, ist eine britische Autorin, die sowohl Romane für Erwachsene und Jugendliche als auch Kinderbücher schreibt. Ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet und zum Teil verfilmt, wie 1993 Mrs. Doubtfire. Weitere Informationen
Ulla Kösters übersetzt aus dem Englischen neben Anne Fine auch Autoren wie Jason Starr, Magdalen Nabb und Jill Murphy.
Carina Schumann studiert seit 2007 Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität mit der Fächerkombination Englisch/Französisch. Ihre Sprachkenntnisse verbesserte sie durch mehrere Aufenthalte in England und Frankreich. Das Wintersemester 2009/10 wird sie als Fremdsprachenassistentin in Frankreich verbringen.