Mit seinem meisterhaften Erstlingswerk House of Leaves scheint Mark Z. Danielewski den Roman neu erfunden zu haben. Er schöpft aus dem Vollen formaler und erzähltechnischer Möglichkeiten, wie es nur die wenigsten Autoren vor ihm getan haben, und schafft es auf diese Weise, den Leser ganz und gar in dem Labyrinth dieses mystischen Hauses und seiner Rätselhaftigkeit verschwinden zu lassen. So besteht der Roman aus mehreren, zeitlich versetzten Handlungsebenen, aus über 450 Fußnoten, die teils Kopf stehen und sich seitenweise hinziehen, aus Briefen, Textkästen, transkribierten Interviews, Gedichten und Abbildungen.
Der Roman besteht im Wesentlichen aus drei Handlungssträngen. Den Kern aller Handlungsstränge bildet der so genannte „Navidson Record“ – ein Film, der in US-amerikanischen Kinos großes Aufsehen erregt und eine Menge Sekundärliteratur nach sich gezogen hat. Will Navidson, Fotograf und Pulitzer-Preisträger, zieht mit seiner Familie in ein Haus auf dem Land und plant, dort einen Dokumentarfilm über das Landleben zu drehen. Zu diesem Zweck montiert er in jedem Zimmer ständig laufende Kameras. Die ländliche Idylle wird jedoch bald von der Tatsache getrübt, dass das Haus auf unerklärliche Weise seine Dimensionen verändert. Zunächst stellt Navidson fest, dass die Innenmaße des Hauses nicht mit den Außenmaßen übereinstimmen. Bald darauf wird eine kleine Abstellkammer zu einem meterlangen schwarzen Flur und dieser wiederum zu einem Labyrinth, das sich ins Endlose auszudehnen scheint. In spektakulären Expeditionen, die alle mit Handkameras und Fotoapparaten festgehalten werden, versucht Will Navidson, gemeinsam mit professionellen Höhlenforschern die Tiefen des Hauses zu ergründen.
Ein gewisser Johnny Truant erhält Jahre später aus dem Nachlass eines Mannes namens Zampanò einen Wust an Dokumenten, der sich bis ins kleinste Detail mit diesem Film auseinandersetzt. Der blinde Zampanò erzählt darin den „Navidson Record“ auf minuziöse Weise nach und ergänzt ihn um Stellungnahmen von verschiedensten Wissenschaftlern, Privatleuten und Prominenten sowie durch eigene Randnotizen. Tagebuchaufzeichnungen von Johnny Truant beschreiben dessen Versuche, jenes Material zu ordnen. Dieses versieht er wiederum mit Kommentaren und Fußnoten, die teilweise in seine eigene Biografie abgleiten. Ungenannte Herausgeber veröffentlichen letztendlich das Manuskript, das Johnny aus den Dokumenten Zampanòs zusammengestellt hat.
Und so verschachteln sich in diesem Roman Buch in Buch in Buch, Fußnoten in Fußnoten und Anmerkungen in weiteren Anmerkungen, wobei eine Ebene die andere infrage stellt und sogar inhaltliche Widersprüche auftauchen. Hierdurch sowie durch die bombastische, verstörende Aufmachung des Romans wird der Leser irregeführt und scheint sich bald selbst in den Tiefen des Hauses und seines Labyrinths zu verlieren. Bis zum Schluss spitzt sich der Irrsinn zu, und letztendlich bleibt sogar unklar, ob es den „Navidson Record“ überhaupt jemals gegeben hat.
House of Leaves besticht nicht nur durch seine intellektuelle Extravaganz, sondern auch durch jenes latente Grauen, das den Leser immer wieder erschaudern lässt – denn es ist einfach auch ein erstklassiger Horrorroman.
Ganze sieben Jahre hat es gedauert, bis ein deutscher Verlag gewagt hat, sich der Übersetzung dieses Werkes anzunehmen. In Christa Schuenke hat Klett-Cotta eine Übersetzerin gefunden, deren Erfahrungshorizont von Shakespeare über Swift, Melville und Poe bis Banville reicht, und deren Übertragung dem Original in jeder Hinsicht gerecht wird. Mit ihrer virtuosen Übersetzung hat sie es geschafft, dieses sprachliche Ungeheuer zu bewältigen, ohne es in seiner Mannigfaltigkeit zu beschneiden.
Neben dem ausgeprägten Wortschatz Danielewskis liegt die besondere Schwierigkeit beim Übersetzen der unterschiedlichen Sprachregister, derer Danielewski sich bedient. So sind die seitenlangen Abhandlungen und Fußnoten aus Zampanòs Skript sehr sachlich bis wissenschaftlich gehalten, während die Tagebucheinträge Johnny Truants sich im untersten Register bewegen. Durch seine unreflektierte, dem Brainstorming gleiche und äußerst bildhafte Sprache empfindet der Leser des Originals Johnny und dessen Gedanken als sehr unmittelbar und authentisch. Doch trotz der mitunter vulgären Ausdrücke ist seine Sprache gewandt und ausgeschmückt und erinnert teilweise stark an Kerouac oder Thompson.
Den Balanceakt zwischen diesen Stilen meistert Schuenke bravourös. Durch das mutige Übernehmen und Einstreuen englischer Begriffe („Fuck“, „Pussy“), sowie das Verkürzen der Verben in der ersten Person Singular („hab ich doch gesagt“, „ich find’s lustig“) wirkt die Umgangssprache idiomatisch und wenig konstruiert.
Vor allem jedoch gelingt es ihr durch Wortspiele und Lautmalerei, eine sowohl originalgetreue als auch phantasievolle Übersetzung zu kreieren. So wird aus einer “seventeen year old with gold braided hair, as wild as a will-o‘-the-wisp” ein “Mädchen, siebzehn, goldene Flechten, irrlichternd wild”, und „the same mind-numbing gut-heaving shit“ zu „diesem immer gleichen hirnerweichenden magenumstülpenden Scheiß“.
Rätselhaft bleibt allerdings, warum Schuenke auf Seite 666 (!) einen im Original französischen Text mit der Überschrift „La Feuille“ in Otjiherero hat übertragen lassen, eine Bantusprache, die weltweit nur noch von etwa 150.000 Menschen gesprochen wird. Doch in den Untiefen dieses Buches ist dies schließlich nicht die einzige Frage, die offen bleibt.
Ein unkonventioneller Roman für mutige Leser.
—
Mark Z. Danielewsk: Das Haus, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Christa Schuenke, Stuttgart: Klett-Cotta 2007, 827 Seiten, €29,90
Mark Z. Danielewski: House of leaves, New York: Pantheon Books 2000, 709 Seiten
Mark Z. Danielewski, 1966 als Sohn des polnischen Filmemachers Tad Danielewski in den USA geboren, legte 2000 mit seinem Debüt „House of Leaves“ ein Werk vor, das seither von Kritikern und Lesern heiß diskutiert wird und inzwischen zum internationalen Bestseller geworden ist. Schon vor seiner Veröffentlichung hatte sich bereits eine Fangemeinde gebildet, da Teile des Romans im Internet kursierten, was einen regelrechten Untergrundkult ausgelöst hatte. Noch im Jahr der Publikation tourte Danielewski mit seiner Schwester, der Sängerin „Poe“, durch die Vereinigten Staaten, um ihr Album und sein Buch zu vermarkten.
Danielewski studierte Englische Literatur an der Universität Yale, arbeitete im Verlagswesen und war an der Produktion des Dokumentarfilms Derrida beteiligt. Für die Vollendung von House of Leaves brauchte er zehn Jahre. Im Jahre 2000 erschien ebenfalls das Begleitbuch The Whalestoe Letters. Seither sind außerdem The Fifty Year Sword (2005) und die Liebesgeschichte Only Revolutions (2006) publiziert worden.
Christa Schuenke (*1948, Weimar) studierte an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Dolmetschen für die Sprachen Englisch und Französisch sowie im Fernstudium Philosophie an der Hunmboldt-Universität Berlin. Heute ist sie mehrfach preisgekrönte Übersetzerin literarischer Werke aus dem britischen und amerikanischen, aber auch aus dem indischen und afrikanischen Englisch. Innerhalb von 30 Jahren übersetzte sie rund 130 Werke nahezu aller literarischer Gattungen, darunter auch Yeats, Swift, Melville, Shakespeare, Poe, Fitzgerald.