Buchcover Übersetzung als Begegnung
Christine Koopmann zum Lyrikmagazin Trimaran #5

Kürzlich ist unter dem Motto „Übersetzung als Begegnung“ die 5. Ausgabe von Trimaran beim Verlag Lilienfeld in Düsseldorf erschienen. Die Herausgeber Christoph Wenzel und Stefan Wieczorek eröffnen durch dieses Magazin schon seit 2019 jährlich immer wieder neue spannende Perspektiven, vor allem in die zeitgenössische, manchmal aber auch klassische Lyrik der Niederlande, Flanderns und Deutschlands. Namensgebend für die Zeitschrift ist der Trimaran, ein Boot mit drei parallelen Rümpfen, der sinnbildlich für die drei Länder und den Austausch über die Grenzen hinweg steht.

Zu Anfang der komplett zweisprachigen Zeitschrift werden stets aktuelle faszinierende Lyrikprojekte vorgestellt, darunter beispielsweise in #1 das jährliche Treffen der Direktor*innen der fünfundzwanzig europäischen Poesiefestivals, die einander von der jeweiligen Lage der Lyrik in ihren Ländern berichten oder die „Toren van Babel“ (Der Turm zu Babel) – von Maud Vanhauwaert (Ausgabe #2, 2020). Diese schuf während ihrer Zeit als Stadtdichterin in Antwerpen einen Turm aus Bambus und Holz und empfing zahlreiche Dichter*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen und Akademiker*innen zum Thema Mehrsprachigkeit. Lyrik im Alltag erfahrbar zu machen ist ein Ziel, das auch beim Projekt straatpoezie.nl (Ausgabe #3, 2022) verfolgt wurde: Kila van der Starre hat diese Website zur Poëzieweek (Woche der Lyrik) 2017 in Zusammenarbeit mit der Abteilung ICT & Media der Uni Utrecht entworfen, um Gedichte in Flandern und den Niederlanden im öffentlichen Raum auf Karten zu verzeichnen. Auf diese Weise können sicherlich in Zukunft noch so einige Gedichte entdeckt werden. In Ausgabe #4 (2023) wurde auch ein Projekt der Poëzieweek 2023 genauer beleuchtet: Die beiden bedeutenden Lyrikzeitschriften Awater und Poëziekrant  bereiteten zusammen eine aktualisierte Umfrage zur Lage der Lyrik vor, die sie von jeweils 15 Dichter*innen, sowie Poesiekritiker*innen aus Flandern und den Niederlanden ausfüllen ließen. Die Projekte werden auf unterschiedliche Art vorgestellt – das letzte beispielsweise als Interview.

Die Zeitschrift Trimaran

Im Herzstück in der Mitte des optisch sehr ansprechenden farbenfrohen Magazins – gut erkennbar als gesonderter Abschnitt oder „Heft im Heft“ mit einem etwas größeren Seitenformat – begegnen sich immer mindestens je ein niederländisch- und ein deutschsprachiger Dichter*innenpart um über die Lyrik des jeweils anderen gemeinsam zu reflektieren und sie dann in die eigene Sprache zu übersetzen. Im Übrigen findet die Begegnung immer erst tatsächlich statt, nicht nur auf dem Papier: die Dichter*innen treffen sich zu einem Übersetzungsworkshop und übersetzen im Nachgang Poesie des Gegenparts, dessen Sprache sie nicht notwendigerweise auch beherrschen: Oft wird dann mit sogenannten Interlinearübersetzungen gearbeitet. Das sind „Basisübersetzungen oder Rohübersetzungen“, „Übersetzungen, die sich weitgehend an die Verseinheit, möglichst sogar an die Wortabfolge halten und Klangfiguren, Bedeutungshöfe, Zeilensprünge etc. im Ausgangstext markieren, ohne sie jedoch nachzubilden“, wie Gregor Seferens in Ausgabe #2 erklärt. Sie bilden die Basis für das monatelange Feilen nach dem Workshop, dem sich die Dichter*innen widmen.

Das Herzstück

Der Aufbau des Magazins variiert ansonsten jedes Mal leicht. Manchmal gibt es über das ganze Heft verteilt Lyrikempfehlungen von Dichter*innen oder Übersetzer*innen, mal sind diese Empfehlungen nur am Schluss zu finden. Oft gibt es vor dem Kernteil eine Reflexion über die aktuelle Lyriklandschaft oder Vorgehensweisen zum Übersetzen.

Aber schauen wir uns doch jetzt die aktuelle Ausgabe #5 genauer an: In dieser wird gleich zu Beginn des Magazins der sogenannte Poem-Booth-Poesieautomat als Lyrikprojekt vorgestellt. Es handelt sich hierbei um eine Mischung aus Fotoautomat und KI, die ein personalisiertes Gedicht über das fotografierte Motiv, das vor dem Automaten steht, generiert. Der belgische Dichter Maarten Inghels nutzte seine Gedichte, um sie in ChatGPT einzuspeisen und „brachte der Poem Booth so das »Dichten« bei“.

Shane Andersons Beitrag über die vier Reiter*innen der Lyrikübersetzung ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Trimaran nicht nur Literatur, bzw. Lyrik präsentiert, sondern auch Raum bietet für die Reflexion darüber. Diese Reiter*innen erscheinen den Übersetzer*innen nämlich, wenn sie um Hilfe rufen: der Semantikmann, das Metrikmädchen, der Florist und die Spielerin. „Der Florist will die Übersetzung schön machen. Wie bei einem Bouquet wirst du damit leben müssen und dich nicht später darüber ärgern wollen, an ein paar Craspedia gespart zu haben.“ Die Spielerin ist für irrwitzige Vorschläge da, die sie erst einbringt, wenn niemand anders mehr weiter weiß. Metrikmädchen haben den Rhythmus und das Versmaß stets im Auge (oder im Ohr), sind sehr streng und haben immer Recht. Und last but not least ist der Semantikmann für die Treue der lexikalischen Bedeutung verantwortlich. Da er aber nicht zu viel erklären darf, meldet er sich erst, wenn es wirklich (vielleicht dank des Floristen?) zu bunt wird. Die vier werden wohl noch so einige Übersetzer*innen bei der Lyrikübersetzung bewusst oder unbewusst begleiten dürfen.

Im bereits erwähnten Herzstück der Zeitschrift begegnen sich dieses Mal die Dichterinnen Simone Scharbert (DE) und Lies van Gasse (BE). Mit Hilfe von Interlinearfassungen übersetzten sie, nachdem sie sich in Aachen im Café Vers fürs Projekt kennengelernt hatten, Gedichte der jeweils anderen und schrieben sich gegenseitig Briefe, aus denen deutlich wird, wie sie die Poesie des Gegenparts berührt und wie besonders die Übersetzungsarbeit in den Wochen und Monaten nach der Begegnung für sie gewesen sein muss.

Ebenso treffen der niederländisch-marokkanische Autor Mustafa Stitou (MA-NL) und Dominik Dombrowski (DE) aufeinander. In der Vorstellung des jeweils anderen sind die Reflexionen zum Übersetzen besonders bemerkenswert. So meint Mustafa: „Vertalen blijft een hachelijke zaak. Een soort gelijkspel is het streven, verlies onvermijdelijk, verrassing mogelijk. („Denn Übersetzen bleibt eine kniffelige Angelegenheit. Eine Art Unentschieden ist das Ziel, Verlust unvermeidlich, Überraschungen möglich“, so heißt es in der Übersetzung von Ruth Löbner). Dombrowski schreibt: „Man muss aufpassen, gerade in der Kombination Niederländisch-Deutsch, dass man die ursprüngliche Wortwörtlichkeit nicht zu sehr verlässt. […] Aber alle Übersetzungen sind ja letztlich ohnehin Interpretationen. Man darf den Reiz jedoch nicht so groß werden lassen, dass es plötzlich ein anderes oder gar ein eigenes Gedicht wird. Oder doch?“

Die Präsentation von KI als dichtendes Subjekt ist mutig, nimmt aber auch ein hochaktuelles Thema auf, zu dem mehr Reflexion wünschenswert gewesen wäre. Denn gerade die Mischung aus Lyrik und der Reflexion darüber macht ja das Magazin eigentlich aus. So beleuchtet beispielsweise der 2023 mit dem Martinus-Nijhoff-Preis (dem wichtigsten Preis für Übersetzer*innen in und aus dem Niederländischen) ausgezeichnete Ton Naaijkens die Übersetzungspraktiken der Lyrik über die letzten Jahre genauer. Er untersucht hierfür zuerst die letzten Ausgaben des Trimaran, aber auch den niederländisch- und deutschsprachigen Raum allgemein.

Insgesamt bietet das Magazin eine abwechslungsreiche Mischung aus informativen Beiträgen, spannenden Vorstellungen neuer Lyrikprojekte, Begegnungen, die in Übersetzungen resultieren, Lesetipps und vielem mehr. Durch die Zweisprachigkeit der ganzen Zeitschrift wird auch Lyrikinteressierten, die (nur) Niederländisch oder Deutsch lesen, ein Einblick in die Welt der Poesie ermöglicht. Trimaran macht Lust auf Lyrik und ist nicht nur für bereits begeisterte Lyrikfans und Übersetzer*innen, sondern auch für diejenigen, die es noch werden wollen, eine absolut zu empfehlende Lektüre.


Christine Koopmann studierte Interdisziplinäre Niederlandistik mit dem Schwerpunkt Literarisches Übersetzen und Kulturtransfer in Münster. Sie lebt in Münster und Amsterdam und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin aus dem Niederländischen und bei einer Literaturagentur in Amsterdam.

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