Ein Buch, ein kleiner Junge, das Spanien der fünfziger Jahre. Hiervon ausgehend schafft Carlos Ruiz Zafón in seinem neuen Roman Der Schatten des Windes eine spannende Geschichte über die Liebe, das Leben und die Wirren des Bürgerkriegs sowie der Nachkriegszeit. Der zehnjährige Daniel findet auf dem Friedhof der Vergessenen Bücher ein Buch, das ihn in seinen Bann zieht und sein Leben verändert. Warum hat ein Verrückter alle Werke des Autors Carax vernichtet? Das Buch des Jungen ist das letzte Exemplar, das noch existiert. Er will Licht in diese geheimnisvolle Geschichte bringen, doch dabei gerät sein eigenes Leben aus den Fugen. Es scheint von dem des Autors bestimmt…
Der Schatten des Windes ist ein sehr spannender historischer Krimi voller Witz und Hang zum Schauerroman. Ersteres lockert den Erzählton, Letzteres macht die Geschichte äußerst spannend. An einigen Stellen neigt Zafón jedoch ein wenig zum Kitsch. Daniels Leben wird allerdings auf derart subtile Weise mit dem Carax‘ verwoben, die Erzählstränge sind mit so vielen Details aufeinander abgestimmt, dass eine runde Geschichte entsteht. Sie fesselt den Leser bis zur letzten Seite – eben genauso wie Daniels Buch, das dieser Geschichte zum Thema dient und dessen Titel sie trägt – gewiss kein Zufall, denn das Ende lässt vermuten … – doch dies sollte sich jeder selbst erlesen.
2003 erschien Der Schatten des Windes (Spanisch: La sombra del viento) in der Übersetzung von Peter Schwaar beim Insel Verlag. Der Roman liest sich flott und vermittelt den Sprachwitz des Originals. Vor allem bei Wortspielen und idiomatischen Wendungen beweist Schwaar eindrucksvoll, dass es ihm an sprachlicher Virtuosität nicht mangelt. So schafft er es beispielsweise sogar, den deutschen Text vielschichtiger werden zu lassen als das Original. „Llevarse el gato al agua“ („die Katze zum Wasser bringen“) bedeutet im idiomatischen Sinn „den Vogel abschießen“. Das Wortspiel im Text besteht nun darin, dass die Akteure umgekehrt werden. Übersetzt hieße es: „Da haben Sie aber den Vogel abgeschossen.“ Und die Antwort: „Eher hat der Vogel mich abgeschossen.“ Schwaar aber schreibt: „Man sieht, dass Sie den Stier bei den Hörnern gepackt haben.“ Und: „Eher hat mich der Stier auf die Hörner genommen“. Beide Wendungen bestehen im Deutschen und beinhalten gleichzeitig den Wandel vom Aktiven hin zum Passiven, der im Original zum Ausdruck kommt. Da aber die spanische Umkehrung der Phrase als Idiom nicht existiert, gewinnt der deutsche Text an Sprachgewandtheit und Witz. Auch den Gebrauch der Umgangssprache versteht Schwaar mehrheitlich gut zu übertragen und erhält so die sprachliche Atmosphäre des Romans.
Es verwundert allerdings im deutschen Text der etwas inkonsequente Sprachstil des Erzählers. Dieser drückt sich überwiegend äußerst gewählt aus (dies zeigt die Verwendung von Ausdrücken wie „Verve“, „ingrimmig“, oder Formulierungen wie „sahen sich gleich“), überrascht aber immer wieder durch umgangssprachliche Formulierungen („jemanden fertig machen“, „anpeilen“, „eine Schar Opas“). Zafón hingegen setzt Umgangssprache sehr viel systematischer, fast ausschließlich in der wörtlichen Rede oder ähnlichen redewiedergebenden Abschnitten ein. Aus den stilistisch einheitlichen und unauffälligen Sätzen „Me basta sentirme parte de su isla y saberme afortunado. La librería da para vivir sin lujos […]“ macht Schwaar: „Aber ich bin es zufrieden, Teil ihrer Insel zu sein und mich glücklich zu wissen. Die Buchhandlung wirft gerade eben genug ab […]“ Der erste Satz erreicht ein stilistisch höheres Niveau als der zweite. Warum dieser Bruch? Warum nicht einfach: „Mir reicht es, Teil ihrer Insel zu sein, und ich bin glücklich damit. […]“? Oder, um dem Stil des ersten Satzes zu folgen: „Die Einnahmen aus der Buchhandlung reichen für ein genügsames Leben, […]“? Grund für diese sprachliche Ungleichheit im Roman erschließt sich nicht und sie fällt leider immer wieder auf.
Trotz der aufgezeigten Stärken und der Bereicherung des deutschen Textes vor allem beim Übertragen des Wortwitzes besitzt die Übersetzung ihre Schwächen im Bereich der Stilebene. Dennoch reißt die deutsche Übersetzung den Leser ebenso mit wie der spanische Originaltext. Nur wenige Bücher schaffen es, einen derart zu fesseln, wie dieses es tut.
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Carlos Ruiz Zafón: Der Schatten des Windes, aus dem Spanischen übersetzt von Peter Schwaar. Frankfurt: Insel 2003, 527 Seiten
Carlos Ruiz Zafón: La sombra del viento. Bacelona: Planeta 2001, 576 Seiten
Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren. Nach dem Studium war er für kurze Zeit in einer Werbeagentur tätig, wandte sich aber bald dem freien Schreiben zu. Seit 1994 lebt er in Los Angeles und arbeitet als Drehbuchautor und Journalist für spanische Zeitungen. La sombra del viento erhielt in Spanien die Auszeichung „Roman des Jahres 2002“ und wurde bisher in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Peter Schwaar, geboren 1947 in Zürich, studierte Germanistik und Musikwissenschaft. Einige Jahre war er Redakteuer beim Zürcher Tages-Anzeiger. Seit ist er 1989 freiberuflich tätig als Übersetzer von Eduardo Mendoza, Tomás Eloy Martínez, Carlos Ruiz Zafón, Javier Tomeo, Zoé Valdés, Adolfo Bioy Casares u.a.. Fast 60 Bücher wurden von ihm aus dem Spanischen ins Deutsche übertragen.