Bei Videospielen denken sicher die wenigsten als erstes an deren literarisches Potential. Tetris, Candy Crush & Co. bleiben nicht wegen ihrer geistreichen Wortwitze oder ausgefeilten Prosa in Erinnerung. Doch beschäftigt man sich eingehender mit dem Medium, das nun seit mehreren Generationen Groß und Klein begeistert, stößt man auf dessen außerordentliche Fähigkeit, durch Sprache, Bild, Ton und interaktive Elemente Geschichten zu erzählen. Diese Interaktivität erlaubt es Spieler*innen wie kein anderes Medium, Geschichten nicht nur zu erleben, sondern auch mitzugestalten.
Bei der Entwicklung des ersten Computerspiels vor über 60 Jahren hat wohl kaum einer daran gedacht, was für eine milliardenschwere Branche ein paar Jahrzehnte später daraus erwachsen würde. 2020 erwirtschaftete die Videospielindustrie weltweit einen Rekordumsatz von rund 175 Milliarden US-Dollar und befindet sich weiter in rasantem Wachstum. Auf unzähligen digitalen Plattformen werden sie mittlerweile vermarktet – auf Smartphones und Tablets, PCs, verschiedensten Konsolen wie Sonys Playstation, Microsofts X-Box und der Nintendo Switch. Um auf dem globalen Markt ein besonders großes Publikum zu erreichen, werden viele Videospiele bereits im Entwicklungsstadium parallel in verschiedene Sprachen übersetzt.
Die Übersetzung ist dabei nur ein Teil des Prozesses, den man Lokalisierung nennt. Wenn Videospiele für einen anderen Sprach- und Kulturraum adaptiert werden, wird nicht nur der Textanteil in die Zielsprache übertragen. In manchen Fällen werden Spiele neu synchronisiert, visuelle und inhaltliche Bestandteile oder sogar Spielmechaniken verändert. So werden teils Inhalte neu kreiert und auch die Sprache muss sich entsprechend flexibel anpassen.
Die Videospielübersetzung umfasst mehrere Felder übersetzerischen Schaffens, darunter Untertitelung, Software-Übersetzung und Literarisches Übersetzen. Texte in Menüs und Tutorials müssen ebenso übersetzt werden wie Beschreibungen und Dialoge. Auch die Untertitelung von Filmsequenzen und Übersetzung von Marketingmaterial, wie Pop-Up-Nachrichten bei Mobile-Games, können dazugehören.
Anders als bei in sich geschlossenen, zusammenhängenden Werken ist der Text in Videospielen in Strings aufgeteilt. Strings sind die Textfragmente, die auf jedem Bildschirm in Schaltflächen, Info- und Dialogboxen und Beschreibungen abgebildet sind. Jeder String hat einen spezifischen Platz im Spiel. Da die Lokalisierung von Videospielen häufig schon in der Entwicklungsphase geplant wird, damit das Spiel in möglichst vielen Sprachen gleichzeitig erscheinen kann, beginnt die Übersetzung ebenfalls bereits während der Entwicklung und das meist in mehrere Zielsprachen gleichzeitig. Das heißt, dass Übersetzer*innen in der Regel den zu übersetzenden Text nicht im Kontext des Spieles zu sehen bekommen, sondern lediglich den rohen Text der einzelnen Strings. Die Verwendung von Computer-Assisted-Translation-Programmen (CAT-Tools) ist dabei üblich und trägt zu einem effizienteren Übersetzungsprozess bei. Die übersetzten Strings werden anschließend wieder ins Spiel implementiert. Da die Implementierung selten von Muttersprachlern durchgeführt wird, kann es in diesem Schritt durchaus vorkommen, dass Strings versehentlich an einer falschen Stelle oder in einer falschen Sprache eingesetzt oder gar komplett vergessen werden. Deshalb ist die anschließende Korrekturphase sehr wichtig. Dabei wird das übersetzte Spiel von Tester*innen mit erstsprachlichen Kenntnissen korrekturgelesen, die Fehler in der Übersetzung und Implementierung ausfindig machen.
Werfen wir im Folgenden einen Blick auf ein paar Herausforderungen, die sich bei der Übersetzung von Videospielen ergeben. Diese sind teils durch den Lokalisierungsprozess, teils durch Besonderheiten des Mediums begründet. Alle genannten Beispiele sind so in der veröffentlichten Fassung des jeweiligen Spiels erschienen.
Koordination und Überblick behalten. Wie anspruchsvoll es ist, bei einem komplexen Werk mit zahllosen Nebenfiguren und Handlungssträngen den Überblick zu behalten, können sich die meisten sicher vorstellen. Vor allem bei großen textlastigen Videospiel-Titeln wird dies nahezu unmöglich. Im großen Rollenspiel-Klassiker The Elder Scrolls V: Skyrim gibt es beispielsweise rund 5.400 verschiedene NPCs (Nicht-Spieler-Charaktere) mit denen interagiert werden kann. Jeder dieser NPCs hat wiederum eine Anzahl an verschiedenen Dialogoptionen. Abhängig von den Voreinstellungen, die Spielende für ihren Avatar getroffen haben – wie Geschlecht, Fähigkeiten, Volk –, können sich Dialoge unterscheiden. Wurde beispielsweise ein weiblicher Avatar gewählt, könnte eine Anrede lauten: „Seid gegrüßt, Herrin.“ Derselbe Dialog bei Wahl eines männlichen Avatars könnte lauten: „Seid gegrüßt, mein Herr.“ Beide Optionen sind im Spiel enthalten, doch nur die entsprechend passende wird letztlich für Spieler*innen sichtbar. Manchmal fügen Entwickler*innen ganz bewusst geheime Dialogoptionen hinzu, die Spieler*innen erst angezeigt werden, wenn eine bestimmte Bedingung im Spiel erfüllt wurde. Übersetzer*innen müssen alle möglichen Dialogoptionen übersetzen und dabei einen Überblick über die Kohärenz behalten, denn auch verschiedene Kombinationen von Dialogoptionen müssen potenziell miteinander funktionieren.
Viele Köche verderben den Brei. In einem großen Team an einer Übersetzung zu arbeiten hat seine Vor- und Nachteile. Bei dem schieren Umfang, den die meisten modernen Videospiele haben, ist es mittlerweile die Regel, dass mehrere Übersetzer*innen sich mit einem Spiel befassen. Das Skript von Animal Crossing: New Leaf enthält zum Beispiel Schätzungen zufolge um die 1.092.240 Wörter. Das sind mehr als alle sieben Harry-Potter-Bände gemeinsam. Keine Aufgabe für eine einzelne Person. Nun sind die Arbeitsbedingungen durch Zeitdruck und wechselnde Teams nicht immer vorteilhaft und Fehler trotz der Verwendung von Glossaren und CAT-Tools kaum zu vermeiden. Ein Beispiel dafür findet sich in dem Action-Game Hades von Supergiant Games. Die darin auftretende Figur Chaos, das personifizierte Urchaos aus der griechischen Mythologie, wird im englischen Original mit der geschlechtsneutralen Anrede „they“ angesprochen (welche schon für sich allein im Deutschen Kopfzerbrechen bereitet). In der deutschen Übersetzung liest man dagegen in Bezug auf Chaos zwei verschiedene Versionen der Anrede, einmal „es“ und einmal das pluralische „sie“. Entsprechend skurril klingt ein Dialog zwischen dem Protagonisten Zagreus und Nyx, der Inkarnation der Nacht. Zagreus spricht zu Nyx: „[…] [I]ch wollte dir wieder Fragen zu Chaos stellen. Wirst du nicht wenigstens Kontakt mit ihnen aufnehmen?“ Darauf erwidert Nyx: „So, es erwähnte mich… Ich dachte, es hätte mich vielleicht längt vergessen. Du musst wissen, dass es mein Vater und meine Mutter ist, Kind. Wir haben seit Beginn der Zeit nicht mehr gesprochen.“ Beide Versionen sind vertretbar, doch zeigt es die Problematik, die entsteht, wenn unterschiedliche Personen einzelne Strings eines Dialogs übersetzen. Es erfordert gute Kommunikation, gründliche Dokumentation von beschlossenen Regelungen z.B. in einem Glossar und anschließend eine sorgfältige Testphase, um ein einheitliches Endresultat zu erzielen.
Fehlender Kontext. Da Übersetzer*innen in der Regel nur den Text und nicht den optischen oder mechanischen Kontext der einzelnen Strings kennen, ist es manchmal nicht einfach, die richtige Übersetzung zu wählen. Ein klassisches Beispiel dafür ist das englische Wort „chest“, das für sich alleinstehend sowohl „Truhe“ als auch „Brust“ bedeuten kann. Zwei andere Beispiele finden sich in dem kooperativen Multiplayer-Kochspiel Overcooked des Studios Ghost Town Games. In diesem Spiel bereitet man mit seinen Mitspielern in einer Großküche unter Zeitdruck verschiedene Gerichte zu, um die hungrige Kundschaft zufriedenzustellen und kräftig Trinkgeld zu kassieren. Hat man eines der Level des Spiels beendet, wird die erreichte Endpunktzahl berechnet. Punkte erhält man laut deutscher Übersetzung für „erledigte Bestellungen“ und „Tipps“, während „unerledigte Bestellungen“ zu Punktabzug führen. Aber Moment. Punkte für Tipps? Gemeint ist natürlich das Trinkgeld. Hier ist eindeutig ein Übersetzungsfehler durch fehlenden Kontext passiert, der jedoch erst beim Spielen auffällt. Schließlich weiß die übersetzende Person nicht, wo genau die übersetzte Zeile im Spiel auftaucht. Es hätte genauso gut die Überschrift eines Hilfe-Fensters sein können, das einem Tipps zum Spiel gibt. Ein weiterer, ähnlicher Kontextfehler findet sich in Overcooked auf dem Bildschirm, auf dem die Spieler ihre Figuren auswählen. Dort steht nämlich kurioserweise „Partitur“ und dahinter die zuletzt erreichte Höchstpunktzahl. Das lässt vermuten, dass im englischen Original der String lediglich das Wort „Score“ enthält. Das kann im Englischen sowohl Punktzahl als auch (unter anderem) Partitur heißen und so ist eine Verwechslung der Bedeutung entstanden.
Screenshot aus dem Spiel Overcooked
Platz. Wer sich mit Comicübersetzung und Untertitelung beschäftigt, weiß, dass Platz in manchen Medien eine knapp bemessene Ressource ist. Und auch im Bereich der Videospielübersetzung ist häufig mit dem Platzproblem zu kämpfen. Der Text in Spielen ist in der Regel an allen Seiten durch feste Grafikelemente begrenzt, wie z.B. Dialogboxen oder Schaltflächen des User-Interfaces. Nicht alle Spieleentwickler denken während der Entwicklung daran, wie viel Platz der Text in verschiedenen Sprachen benötigt, und planen lediglich genug Platz für die Ausgangssprache ein. Da die meisten Spiele in Englisch, Japanisch oder Chinesisch entwickelt werden, kann es so für Sprachen mit langen Wörtern anspruchsvoll sein, mit dem vorhandenen Platz auszukommen. So kommt es häufiger vor, dass ein Begriff abgekürzt werden muss, was unter Umständen skurrile Stilblüten treiben kann. Ein bekanntes Beispiel für einen missglückten Kürzungsversuch findet sich in dem Spiel The Elder Scrolls IV: Oblivion, das einen Gegenstand mit dem Namen „Schw. Tr. d. Le.en-W.“ enthält. Was das bedeuten soll? Ausgeschrieben sollte der Gegenstand vermutlich „Schwacher Trank der Lebensenergie-Wiederherstellung“ heißen. Für die englische Bezeichnung „Weak Potion of Healing“ hätte es sicher eine kürzere deutsche Übersetzung gegeben, stattdessen wurde hier der Name bis zur Unkenntlichkeit gekürzt.
So schnell Übersetzungsunglücke passieren, wenn von Entwicklerseite nicht in eine sorgfältige Lokalisierung investiert wurde, so viele Übersetzungsperlen entstehen dabei auch. Da man bei Videospielübersetzungen weit weniger an originale Wortlaute gebunden ist – denn hinter dem Ganzen steht kein einzelner Autor mit literarischen Ansprüchen – liegt der Fokus statt auf Translation mehr auf Transkreation. So finden sich etliche Beispiele, in denen Spieleübersetzer*innen durch kreative Übersetzung der jeweiligen lokalisierten Version einen eigenen Touch verliehen haben. Im strategischen Fantasy-Rollenspiel Fire Emblem Three Houses sind zum Beispiel gleich mehrere gewitzte Übersetzungen zu finden. In einem Dialog zwischen den Figuren Felix und Ingrid, die sich im freundschaftlichen Streitgespräch über den Verlauf der letzten Schlacht austauschen, wurde das sarkastische „We all know you COULD have“ auf Deutsch geistreich mit „Hätte, hätte, Morgensternkette“ übersetzt. Eine weitere kreative Perle findet sich später in einer Drohung von Seiten des Protagonisten Dimitri. Hier hat jemand bei der Übersetzung seiner lyrischen Ader freien Lauf gelassen. So wurde aus dem Englischen: „Stab your chest, break your neck, smash your head … I will allow you to choose your own death” in der deutschen Übersetzung das poetische “Geköpft, erdolcht, mit Glut gequält … Hast du deinen Tod gewählt?“ Auch Videospiele beinhalten literarische Momente und bieten somit Möglichkeit zur kreativen Übersetzung.
Das Videospiel ist womöglich das vielseitigste Medium unserer Zeit und wie die Beispiele gezeigt haben, ist es durchaus lohnenswert, sich mit dessen Sprache zu beschäftigen. Seit einer Weile zeichnet sich der Wandel weg vom Printmedium zu digitalen Medien ab und hält auch als Gamification Einzug in das Alltagsleben. Sich mit der dort entstehenden und sich entwickelnden Sprache zu befassen, hat das Potenzial, auch junge Leute von Sprache zu begeistern. Gerade weil die Sprachverwendung hier durch die mediale Kontextualisierung bestimmt wird und trotzdem Raum bietet für kreativen Umgang mit Sprache, stellt diese Übersetzungstätigkeit ein spannendes und zukunftsträchtiges Betätigungsfeld dar.
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Johanna Czerny hat an der LMU München Germanistik (B.A.) und Literarisches Übersetzen (M.A.) studiert. Mit ihrer Drehleier haucht sie freiberuflich alten Heldenliedern neues Leben ein. Daneben spielt, testet und übersetzt sie leidenschaftlich gern Videospiele.