In der vierten ihrer im Jahr 2003 gehaltenen Frankfurter Poetikvorlesungen, dem „Amt des Übersetzers“ gewidmet, berichtet die Dichterin und Übersetzerin Elisabeth Borchers von ihrer langjährigen Tätigkeit als Lektorin des Luchterhand-Verlags, bei der es zu ihren Aufgaben gehörte, literarische Übersetzungen aus mehreren Sprachen zu prüfen. Pointiert erzählt sie von Fällen, in denen sie aufgrund ihres sicheren Gespürs für sprachliche und literarische Unstimmigkeiten ÜbersetzerInnen der Nachlässigkeit, der Fehllektüre oder – schlimmer noch als alle anderen Vergehen – der Hybris habe überführen können. So kommentiert sie einen der von ihr aufgedeckten Fehler bei der Übersetzung eines Romans empört: „Der Übersetzer hatte sich in einem Maß in die Position des Erzählers vertieft, der in die Person des Mädchens vertieft war, daß er, der Übersetzer, sich nicht mehr mit den Blicken des Autors sah, sondern mit jenem sich selbst verständigenden Blick eines zum Autor gewordenen Übersetzers. Das darf nicht sein!“ Nicht seine Begabung, seine Imaginationskraft habe der Übersetzer unter Beweis zu stellen, sondern „seine Fähigkeit, sich dem Blick des Autors unterzuordnen“. Modestia ist demnach die Kardinaltugend des Übersetzers, superbia schadet seinem Unterfangen bis hin zum völligen Misslingen. Dass der Übersetzer sich nicht in frevelhafter Selbsterhöhung zum Autor aufschwingen dürfe, ist wohl einer der bekanntesten Allgemeinplätze im Diskurs über die Qualität von literarischen Übersetzungen. Besonders häufig und in zugespitzter Form begegnet man diesem Vorwurf da, wo Dichter Dichter übersetzen und eine Übersetzungssprache schaffen, die die Nähe zur eigenen poetischen Sprache nicht verleugnen kann: So war einer der Vorwürfe von Karl Dedecius und Horst Bienek an Paul Celan, Jessenins Lyrik durch seine Übersetzung „celanisiert“ zu haben, und Henri Meschonnic attackierte André du Bouchet, weil er den Franzosen einen „Celan en du Bouchet“ verkauft habe. Das durfte nicht sein!
Claus Telge löst sich in der hier vorzustellenden Dissertation zu den Gedichtübersetzungen Erich Arendts (1903–1984) und Hans Magnus Enzensbergers (*1929) konsequent von dieser verbreiteten normativen Sicht, um sich aus analytischer Perspektive den „Möglichkeiten und Bedingungen jener Texte und Subjekt-Positionen“ (21) zu widmen, die er, bewusst enthierarchisierend, „Autor-Übersetzung“ und „Autor-Übersetzer“ nennt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht nicht die Frage, wie angemessen oder unangemessen die beiden Dichter die poetischen Sprachen Nerudas, Albertis, Guilléns, Vallejos und anderer übersetzt haben, vielmehr interessiert sich der Verfasser für die „latenten und manifesten Text-Text-Beziehungen zwischen Original, Autor-Übersetzung und den Texten, die unter dem Namen des Autors, der auch Übersetzer ist, veröffentlicht werden“ (16). Es geht also um die Beschreibung komplexer intertextueller Zusammenhänge, darüber hinaus aber auch um kulturelle Aspekte des Übersetzens, ist doch jedes Übersetzen ein Hineinschreiben des übersetzten Textes in einen neuen lebensweltlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Verweisungszusammenhang. Dass der eine der beiden Autor-Übersetzer als Exilrückkehrer in der DDR lebte, schrieb und übersetzte, der andere hingegen, bei aller Reiselust, im Westen Deutschlands verankert blieb, macht die Studie über die Einzelfälle hinaus interessant, erlaubt sie doch allgemeinere Aussagen zu den Bedingungen translatorischen Handelns in unterschiedlichen Systemzusammenhängen. Die Einschränkung des Untersuchungszeitraums auf den Beginn der 1950er Jahre bis zur Mitte der 1960er Jahre erhöht noch den komparatistischen Wert der Befunde: Einerseits ist dies die Zeit, in der die Übersetzungen jeweils die größte Wirkung auf die sich (re)formierende Dichtung der beiden Autoren entfalteten, andererseits fand in dieser Phase in beiden Teilen Deutschlands die Neuformierung des jeweiligen literarischen Systems statt.
Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert: Der erste, „Zur Sichtbarkeit des Autor-Übersetzers“, entfaltet die theoretischen Prämissen der Arbeit; es folgen zwei ausführliche Analyse-Kapitel zu Arendt und Enzensberger sowie als vierter Teil eine Engführung der zentralen Themen der Arbeit unter der Leitfrage „Wie machen Erich Arendt und Hans Magnus Enzensberger Gleiches anders?“ Der Titel der Untersuchung – „Brüderliche Egoisten“ – greift eine Formulierung Enzensbergers im Postskriptum zu seinem Band Geisterstimmen. Übersetzungen und Imitationen (1999) auf: „Der Lyrik-Übersetzer ist kein Märtyrer, sondern ein brüderlicher Egoist“, heißt es da, und dieser Egoismus fange „schon bei der Wahl seiner Opfer“ an: „Jeder nimmt sich, was er brauchen kann, folgt seinen Vorlieben und Idiosynkrasien. Was dabei im Lauf der Zeit entsteht, ist […] vielleicht sogar ein Spiegelbild, in dem man das Selbstportrait eines Dichters erblicken kann.“ Was daraus folgt, fasst Telge so zusammen: „Einerseits bereichert die Übersetzung das eigene dichterische Sprechen, andererseits übersetzt der Dichter sich selbst in das andere hinein“, auch die eigenen „Mängel“, „Marotten“, „Zaubertricks“ und „Höhenflüge“, wie Enzensberger es in seinem Postskriptum formuliert hatte. Diese reziproke Dynamik kennzeichnet also die Autor-Übersetzung rein faktisch, jenseits aller Urteile darüber, ob die entstandenen Neuschreibungen des Originals adäquat oder misslungen seien.
Das Kapitel „Zur Sichtbarkeit des Autor-Übersetzers“ würde durchaus eine separate Publikation verdienen, bietet es doch eine die bisherige Theoriedebatte erweiternde Perspektive auf das Problem der (Un)sichtbarkeit des Übersetzers sowie auf das Verhältnis von domestizierender und verfremdender Übersetzung. Das durch Venutis große Studie zur Übersetzungsgeschichte ins Licht gerückte Problem der translator’s invisibility ist schließlich im Falle des Autor-Übersetzers insofern nicht gegeben, als dieser aufgrund seines Status als Autor bzw. Dichter anders als professionelle LiteraturübersetzerInnen häufig ohnehin bereits über einen hohen Grad an Sichtbarkeit verfügt. Seine Sichtbarkeit als Autor kann daher seine Sichtbarkeit als Autor-Übersetzer erhöhen, umgekehrt können jedoch auch die Autor-Übersetzungen seine Sichtbarkeit als Autor vergrößern, sodass die Autor-Übersetzungen – mitsamt ihren paratextuellen Inszenierungszusammenhängen (Nachworte, Auswahl des Verlags, Einschreibung in Anthologien etc.) – und die eigenen Dichtungen zusammengenommen Teil der Selbstpositionierung im jeweiligen literarischen System sind. Beide Subjekt-Positionen, die des Autors und die des Autor-Übersetzers, interagieren also permanent miteinander und können daher, so argumentiert Telge, nur als umfassende Dynamik analysiert werden.
Die Dichotomie domestizierend/verfremdend könne für die Analyse einer Autor-Übersetzung allein deshalb nicht leitend sein, weil in ihr die für die Autor-Übersetzung charakteristische konstitutive und dynamische Bezugnahme auf das Werk des Autor-Übersetzers ignoriert werde. Telges Reflexion über die Autor-Übersetzung beginnt bei der von Venuti weitgehend ausgeblendeten Frage nach der Motivation des Autor-Übersetzers: Warum wählt er welchen Autor und welchen Text zur Übersetzung aus, was ist sein „Begehren zu übersetzen“ (48)? An Kristeva anknüpfend, für die jeder Text Absorption und Transformation eines anderen Textes ist, wobei Übersetzung, Imitation, Adaption und Appropriation Subsysteme einer intertextuellen Textarchitektur bilden, definiert er die Autor-Übersetzung als ein „sprachlich-textuelles Arrangement dieser Subsysteme“ bzw. als „intertextuelle Praktik, die ein spezifisches Beziehungsgeflecht von Ausgangstext, Übersetzung und eigenem Schreiben des Autor-Übersetzers herausbildet“ (48f.). Telges Interesse gilt dabei nicht allein solchen Autor-Übersetzungen, die dialogische Beziehungen zum Ausgangstext eingehen, sondern auch den monologischen, bei denen die Stimme des Autor-Übersetzers die des übersetzten Dichters übertönt und der Ausgangstext bis zur Unkenntlichkeit deformiert wird. Dies leuchtet vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen vollkommen ein, da schließlich auch das Übertönen Teil des Inszenierungs- und Positionierungszusammenhangs sein kann, der in dieser Studie konsequent in den Fokus gerückt wird. Die zahlreichen, sehr detaillierten und genau kontextualisierten Analysen zur Übersetzungspraxis Arendts und Enzensbergers hier zu resümieren, würde den Rahmen bei weitem sprengen. Daher sollen im Folgenden nur wenige Beispiele demonstrieren, wie der Verfasser bei seinen Analysen verfährt.
Erich Arendt, der nach Stationen auf Mallorca, in Italien, Frankreich und Spanien den größten Teil seiner Exiljahre in Kolumbien verbrachte, veröffentlichte nach seiner Rückkehr nach Ostberlin im Jahr 1950 zunächst keine eigenen Gedichte, sondern widmete sich, unterstützt von seiner Frau, der Romanistin Katja Hayek-Arendt, bis 1956 primär der Vermittlung spanischsprachiger Lyrik nach Deutschland, insbesondere der Übersetzung des über 15.000 Verse umfassenden Canto General von Pablo Neruda. Anders als frühere Forscher, die monetäre Gründe als ausschlaggebend dafür ansahen, dass Arendt dieses Großprojekt in Angriff nahm, geht Telge, den eigenen theoretischen Überlegungen folgend, vom „Begehren“ des Autor-Übersetzers aus. Arendt, der sich selbst gerne als einen den Elementen verbundenen, durch mittelmeerische und tropische Welten streifenden „Vaganten“ bezeichnete, habe bei Neruda eine „Metaphorik der Elemente, bestehend aus Stein-, Luft- und Wasser-Chiffren“ vorgefunden, die das „eigene autogene Repertoire anreichert[e]“ (74). Es zeuge indes von einem antiquierten Autorverständnis, wenn man angesichts der Präsenz eines solchen Vokabulars in Arendts eigener Lyrik von einem „Einfluss“ Nerudas auf Arendt oder gar von Plagiat spreche. Aus Telges Sicht sollte vielmehr in Abkehr vom genieästhetisch fundierten Einfluss-Paradigma die „textliche Dynamik“ analysiert werden, „die dem Exilrückkehrer [half], sowohl mit dem Trauma der Rückkehr umzugehen als auch die Arbeit an neuen Gedichten wiederaufzunehmen“ (76). Als besonders aufschlussreich erweist sich dafür das Nachwort zur Neruda-Übersetzung, in dem Arendt sich einerseits der offiziellen Verehrung Nerudas als Held im Kampf für die Befreiung des werktätigen Menschen in pathetischen Worten anschließt und ihn gegen mögliche Formalismus-Vorwürfe verteidigt (womit er der Zensurbehörde geschickt den Wind aus den Segeln nimmt), andererseits aber in seinen Erläuterungen zu Nerudas Sprache und Stil, Nerudas zwischenzeitlich verkündetes Bekenntnis zur „claridad“ der Dichtung ignorierend, gerade das Geheimnisvolle, Dunkle der Dichtung des Chilenen hervorhebt. Ausführliche Analysen widmet Telge u.a. dem zweiten Abschnitt des Großen Gesangs, Die Höhen von Macchu Picchu. Der Unterschied zu bisherigen Übersetzungsanalysen zeigt sich z.B. im Kommentar zur ersten Strophe, wo bei Arendt aus „llegando y despidiendo“ ein romantisierendes „Wandern“ wird, weshalb Jürgen von Stackelberg ihm bereits 1978 vorgeworfen hatte, aus Neruda einen Eichendorff-Epigonen gemacht zu haben. Telge sieht die Sache anders: Arendts Übersetzung verstärke den romantischen Ton Nerudas nicht nur, sondern übersteuere ihn bewusst, indem sie ihn einer systematischen Veredelung unterziehe, was etwa auch in der archaisierenden Übersetzung von „nos entrega como una larga luna“ durch „wie eines reifen Mondes Geleucht“ deutlich werde. Gerade darin offenbare sich aber das diskurstransgressive Potenzial der Übersetzung: In bewusstem Rückgriff auf Hölderlins Übersetzungsstil verhelfe Arendt „einer vom dominanten literarischen Diskurs verdrängten Traditionslinie wieder zu textueller Ausprägung“ (90) und setze der funktionalisierten Sprache des sozialistischen Realismus eine andere Sprechweise entgegen. Die romantisierend-archaisierende Übersetzung ist daher aus Telges Sicht kein misslungener Versuch, den Stil Nerudas „treu“ zu übersetzen, sondern eine in einem bestimmten Produktions- und Publikationskontext gewählte Verfremdungsstrategie, die den Ausgangstext bewusst manipuliert. In weiteren Analysen zeigt der Verfasser, dass die dialogischen Synergien zwischen Original, Autor-Übersetzung und eigener Dichtung sich nicht nur in Arendts 1959 erschienen Flug-Oden, sondern auch in seinen Alberti-Übersetzungen nachvollziehen lassen.
Hans Magnus Enzensbergers Selbst-Profilierung als Übersetzer spanischsprachiger Lyrik geschieht unter völlig anderen Vorzeichen als diejenige Arendts. Zum einen agiert Enzensberger, der sich selbst als hochsensiblen, Ober- und Untertöne registrierenden „Weltempfänger“ oder „Radiokopf“ versteht, in einem anderen politischen bzw. ökonomischen System; zum anderen unterscheidet er sich darin von Arendt, dass er im sich formierenden Literaturbetrieb der Bundesrepublik in den verschiedensten Rollen auftritt: als Dichter, Essayist, politischer Intellektueller, Literatur-Scout für den Suhrkamp-Verlag, Herausgeber und Übersetzer, wobei gerade die letzteren beiden Tätigkeiten eng miteinander verbunden sind. Die interaktive Dynamik zwischen Autor-Subjekt und Autor-Übersetzer-Subjekt lässt sich, wie Telge zeigt, bereits an einem der ersten Gedichte nachweisen, die Enzensberger überhaupt veröffentlichte, dem warn lied (1956), dessen Verse „meine rinde wird / dir die lippen zerreißen. / ich führe dich / an ein salziges wasser“ direkt auf Nerudas Melancolía en las familias referieren, wo es (in Enzensbergers Übersetzung) heißt: „wenn der heisere Kirschbaum / sich die Lippen zerreißt, wenn er droht / mit seiner oft vom Seewind zerfetzten Rinde“. Zugleich referiert Enzensbergers Gedicht jedoch auch auf den Hirtenpsalm aus der Lutherbibel „Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“ (Ps 23,2) Einerseits verwandele Enzensberger im warn lied Nerudas Sprechen über Naturhaftes in ein Sprechen über die Bedrohtheit jedes bildhaften Sprechens, andererseits schreibe er das Gedicht durch die Deformation des „frischen“ in ein „salziges“ Wasser in den Kontext des Sprechens zu und nach Auschwitz und damit in die Gegenwart der bundesdeutschen fünfziger Jahre ein. Anders als Arendt, der sich weigert, eine moderne, gegenwärtige Sprache für Neruda zu erfinden, sind „Lebendigkeit“ und „Brauchbarkeit“ im Jetzt und Hier für Enzensberger zentrale Kriterien sowohl beim eigenen Übersetzen als auch bei der Auswahl von Übersetzungen für sein Museum der modernen Poesie, das er als „Annex zum Atelier“ (Vorwort) verstanden wissen will, da es Vergangenes nicht mumifizieren, sondern in der Gegenwart „verwendbar“ machen soll. Enzensbergers Begehren, Neruda zu übersetzen, ist somit ein ganz anderes als das Arendts: Das Anziehende des Chilenen liegt für ihn in dessen Poetik der „poesia impura“, ein Begriff, den er nicht mit „unreine Dichtung“ wiedergibt, sondern mit poésie impure, da die Übersetzung ins Französische ermöglicht, Nerudas Dichtung als „dritten Weg aus der aufkommenden Debatte um die Dichotomie von poésie engagée und poésie pure“ (175) zu rekontextualisieren und sich selbst als dessen deutschen Bruder zu inszenieren. Anders formuliert: „Was Enzensberger mit Brecht an Neruda heranträgt, ist der Gründungsakt bzw. die Selbstverständigung über eine eigene Schreibweise.“ (178) Wiederum ist das Ergebnis ein komplexes Verweisungsgefüge zwischen Original, Autor-Übersetzung und eigenem dichterischen Werk: In seinen Übersetzungen sowohl des Essays Sobre una poesía sin pureza als auch der Gedichte lakonisiert, konkretisiert und profanisiert Enzensberger die Sprache Nerudas: So werden aus „calendarios“ „Abreiß-Kalender“, aus „gomas“ „Radierbrösel“ und aus „impuestos“ „Steuerbescheide“. Im asyndetischen Aufzählungsstil, der vor allem die „bösen gedichte“ im Debütband verteidigung der wölfe charakterisiert, transformiert er zudem Nerudas poetisches Verfahren der Liste („hay“, „como“) in eine lyrische Kritik an der Verdrängungsunkultur der deutschen Nachkriegsjahre.
Im letzten Kapitel der Arbeit stellt der Verfasser verschiedene Übersetzungen derselben Gedichte einander direkt gegenüber und unternimmt ein differenziertes close reading der „Imitation“, die Enzensberger unter dem Titel Agonie in den Kleiderschränken auf Arendts Neruda-Übersetzung Melancholie in den Familien geschrieben hat. Zusammenfassend kennzeichnet er Arendts Übersetzungsstil als einen metaphorisch-diachronischen, der angesichts der Gegenwartsbezogenheit der herrschenden Literaturdoktrin der DDR eine „apräsentische Entrückung der Übersetzung“ (279) anstrebe, während er Enzensbergers Stil als einen „metonymisch-synchronischen“ beschreibt, der eine auf den westdeutschen Zielkontext bezogene Entharmonisierungsstrategie verfolge. Die höchst unterschiedlichen Übersetzungsstile seien nicht so sehr auf unterschiedliche Bewertungen des Dichters Neruda, insbesondere seiner politischen Lyrik, zurückzuführen als vielmehr auf entgegengesetzte poetologische Modelle.
Der Wert dieser Arbeit, die nicht nur eine umfassende Kenntnis mehrerer fachlicher Debattenzusammenhänge erkennen lässt, sondern auch einen hohen Grad an poetischer Sensibilität, liegt zunächst in der überzeugenden Analyse und Neubewertung der Gedichtübersetzungen Arendts und Enzensbergers. Darüber hinaus stellt sie aber auch einen originären Beitrag zur Theorie bzw. Poetik der (Autor-)Übersetzung dar und bietet nicht zuletzt eine differenzierte und gut begründete Begrifflichkeit für weitere Einzelfallstudien.
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Claus Telge: „Brüderliche Egoisten“. Die Gedichtübersetzungen aus dem Spanischen von Erich Arendt und Hans Magnus Enzensberger. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2017, 312 Seiten.
Claus Telge studierte u.a. Literatur und ästhetische Kommunikation in Hildesheim und war Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig sowie Teaching Assistant an der University of Arizona. Seit 2015 lehrt er als Associate Professor an der Osaka University.
Vera Viehöver lehrt Deutsche Literatur an der Université de Liège. Sie ist Mitglied des dortigen Centre Interdisciplinaire de Rercherche en Traduction et en Interprétation (CIRTI) und assoziiertes Mitglied des Centrum voor Literatuur en Vertaling (CLIV) an der Universität Gent. www.cirti.uliege.be