Auf dem Holztisch liegen eine deutlich zerlesene Taschenbuchausgabe des englischen Originals und die deutsche Übersetzung von Marcus Geiss und Henning Stegelmann aus dem Jahr 1996. Daneben Ingo Herzkes eigene Übersetzung von Fever Pitch: ein Stapel Papier. Mit der Korrektur der Druckfahnen ist der Hamburger Übersetzer zum Zeitpunkt des Interviews gerade fertig geworden. Zu seinem Handwerk gehört die Suche nach dem richtigen Wort, der passenden Wendung. Und manchmal auch das intensive Studium von Youtube-Videos.
Nicole Selmer: Warum wird Fever Pitch überhaupt neu übersetzt?
Ingo Herzke: Die alte Version ist an manchen Stellen stilistisch holprig, einige Sachen sind schräg oder unwissend übersetzt. Zum Beispiel geht es um einen Fan im Auswärtstrikot, also im „away jersey“, daraus wurde „eines von diesen Hemden, die wir bei Auswärtsspielen tragen“, weil den Übersetzern das Prinzip offenbar nicht vertraut war. In Großbritannien hat es 2012 eine Jubiläumsausgabe gegeben, zu der Nick Hornby ein neues Vorwort geschrieben hat, das war ein guter Anlass für die Neuübersetzung.
Das Buch beginnt mit dem sehr bekannten Satz: „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.“ Bleibt der den deutschen Lesern erhalten?
Fast, der neue Anfang lautet: „Ich verliebte mich in Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: unvermittelt, unbegreiflich, unkritisch, ohne einen Gedanken an den Schmerz oder den Schaden, den er mir zufügen würde.“ Er wird also etwas knapper und weniger umständlich. „Schaden“ ist „disruption“ im Englischen, da habe ich mich entschieden, nicht so wörtlich zu übersetzen, sondern eine hübsche Alliteration zu machen.
Hat die Übersetzung Sie vor große Schwierigkeiten gestellt?
Sprachlich nicht unbedingt. Hornby schreibt kaum überflüssigen Müll, sondern auf den Punkt und witzig. Manchmal ist es nicht so leicht, alle Wortspiele mitzumachen. Aber die eigentliche Schwierigkeit war die Frage, was ich dem deutschsprachigen Leser zumuten kann. Selbst ein junger Londoner, der das Buch heute liest, wird viele Dinge nicht mehr verstehen: Die Spieler, die Zustände der Liga in den 1970er Jahren, die Funktion der Cupbewerbe – all das hat sich verändert. Allein schon Arsenal. Das Buch hat ja diesen Unterton, dass Arsenal die hässlichste Mannschaft Großbritanniens – wenn nicht sogar ganz Europas – ist, defensiv und brutal spielt und allgemein verachtet wird. Wer nach 1992 angefangen hat, Fußball zu verfolgen, weiß nicht, wovon da die Rede ist. Arsenal hat schließlich jahrelang den schönsten Fußball des Kontinents gespielt.
Wie haben Sie das gelöst?
Die Spieler habe ich so gelassen, aber Dinge wie die Tribünennamen der englischen Stadien – „The Kop“ kennen vielleicht einige, aber „The Clock End“ und „The Stretford End“? Da habe ich schon etwas ergänzt. Sehr hilfreich sind die Recherchemöglichkeiten im Internet gewesen, ich habe Unmengen von Youtube-Clips angeschaut, in Schwarz-Weiß und mit Originalkommentar. So auch das für Hornby traumatische Cupfinale gegen Swindon, das er als Kind mit seinem Vater besucht. Nach 90 Minuten steht es 1:1, Arsenal verliert in der Verlängerung. Das erste Gegentor ist eine unglaubliche Verkettung von Abwehrfehlern und Unglücksfällen. Die Spieler rutschen im Schlamm aus und fallen slapstickartig übereinander. Das ist im Original nicht ganz leicht zu verstehen. Erst nachdem ich mir das angeschaut hatte, war klar, wie der Ball wohin geflippert ist.
Sie sind selbst Fan des FC Schalke 04. War dieser Fußballbezug wichtig für die Übersetzung?
Ja, sonst hätte ich den Auftrag auch nicht bekommen. Ulrich Blumenbach, der Hornby sonst übersetzt, hat dem Verlag gleich abgewunken, weil er von Fußball überhaupt nichts versteht, und gesagt: „Frag Ingo.“ Hornby versucht zwar, sein Fansein auch Nichtfans zu erklären, aber wer es ganz unfassbar findet, dass 22 Leute vor 40.000 anderen Leuten einem Ball hinterherlaufen, dem nützt auch das Buch nichts. Ich habe mir 1993 das Original gekauft und es oft gelesen. Daher war es auch ein Traum, das Buch übersetzen zu dürfen.
Haben Sie Kontakt mit Nick Hornby gehabt?
Wir haben gemailt. Ich habe eigentlich kaum etwas nachfragen müssen, aber kurz nachdem ich mit der Übersetzung angefangen habe, sind Schalke und Arsenal in eine Champions-League-Gruppe gelost worden. Da haben wir uns öfter geschrieben, ohne über das Buch zu sprechen. Er hat großspurig gemeint: „Einen Punkt zu Hause könnt ihr haben.“ Nachdem Schalke bei Arsenal gewonnen hat, ist er etwas einsilbig geworden. (lacht)
Die letzten 20 Jahre haben den Fußball und damit auch das Fantum stark verändert. Was hat Fever Pitch heute noch zu sagen?
Vieles ist gerade historisch interessant, also etwa, wie Hornby über die 1980er Jahre schreibt, über die Stadionkatastrophen von Heysel und Hillsborough. Damit endet das Buch, und danach haben große Veränderungen stattgefunden: Die Premier League wird gegründet, der Taylor-Report wird umgesetzt, das Bosman-Urteil kommt. In seinem neuen Vorwort schreibt Hornby, dass es Leute gibt, die behaupten, sein Buch habe zu diesen Veränderungen beigetragen. Er findet es lächerlich, ihm zuzuschreiben, was Fernsehmogul Rupert Murdoch und Konsorten bewirkt haben. Vieles, was er schildert, ist aber zeitlos. Den „greatest moment ever“ gibt es immer noch – womit kann man es vergleichen, mit einem Tor in letzter Minute die Meisterschaft zu gewinnen? Das kann man auch in 30 Jahren noch lesen.
Sicher hat Fever Pitch nicht den modernen Fußball hervorgebracht, wohl aber die moderne Art, über Fußball zu schreiben.
Ja, das ist auch ein Grund, warum mir das Buch so am Herzen liegt. Als es herauskam, habe ich in Göttingen Literaturwissenschaften studiert. Ich hatte einen Studienkollegen, der ähnlich tickte wie ich und auch „When Saturday Comes“ abonniert hatte. Ansonsten war Fußball unter politisierten Studenten nicht gerade weit vorn. Da sprach mir Hornby aus der Seele. Er schreibt über eine Kollegin, die ihm auch nach mehrmaligen Beteuerungen nicht glaubt, dass er zu Arsenal geht. Schließlich hat er doch gerade mit ihr über einen feministischen Roman diskutiert. Das ist heute anders, wobei man diese Feuilletonisierung des Fußballs auch kritisch sehen kann. Aber mir ist es so lieber.
Wie sieht Hornby die Veränderungen des Fußballs?
Im neuen Vorwort beschreibt er, wie er 2011 im Stadion sitzt und Arsenal im Ligacup-Finale gegen Birmingham sieht. Arsenal ist haushoher Favorit und verliert kurz vor Schluss durch einen katastrophalen Abwehrfehler 1:2. Alles genau wie damals gegen Swindon, denkt sich Hornby. Dann zählt er auf, was alles anders ist: (liest vor) „Der Führungstreffer von City war ein Kopfball von einem hünenhaften Serben, ein Holländer glich für Arsenal aus und ein von einem russischen Klub ausgeliehener Nigerianer erzielte dann den Siegtreffer nach einem lachhaften Defensivmissverständnis zwischen einem Franzosen und einem Polen. Wer waren diese Leute? Wieso spielten sie in Wembley bei einem nationalen Pokalfinale, und wieso hatte ich 90 Pfund fürs Zuschauen bezahlt?“
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Die Veröffentlichung des Interviews erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Nicole Selmer und des Magazins ballesterer (www.ballesterer.at), wo es im Juni 2013 erstmals erschienen ist.
Nick Hornby: Fever Pitch. Ballfieber – Die Geschichte eines Fans, neuübersetzt von Ingo Herzke, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013, 336 Seiten.
Nick Hornby: Fever Pitch, London: Penguin 2010, 256 Seiten.
Nick Hornby (geb. 1957) ist ein britischer Schriftsteller und Popliterat. Seine bekanntesten Werke sind Fever Pitch, das 1992 den William Hill Sports Book of The Year Award gewann, High Fidelity und About a Boy, die beide äußerst erfolgreich verfilmt wurden. Hornby schreibt außerdem journalistische Beiträge für z.B. The Sunday Times und ist auch als Drehbuchautor tätig. Er lebt mit seiner Familie in London.
Ingo Herzke (geb. 1966) hat Klassische Philologie, Anglistik und Geschichte in Göttingen und Glasgow studiert. Er lebt in Hamburg und übersetzt englischsprachige Literatur, darunter die Romane von A. L. Kennedy, Alan Bennett und Gary Shteyngart. Herzke wurde dreimal mit dem Hamburger Förderpreis für Übersetzer ausgezeichnet. Seine Neuübersetzung von Fever Pitch erschien im Juni 2013 bei Kiepenheuer & Witsch.
Nicole Selmer ist freie Autorin und Journalistin mit den inhaltlichen Schwerpunkten Fankultur, Gewalt, Gender und schreibt regelmäßig für das österreichische Fußballmagazin ballesterer und den Blog publikative.org. Sie ist Mitglied im Netzwerk „F_in – Frauen im Fußball“ und Fan von Borussia Dortmund.
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