New Spanish Books: Wie haben Sie die spanische Literatur entdeckt?
Susanne Lange: Entdeckt hatte ich zunächst gar nicht die spanische Literatur, sondern die lateinamerikanische. Erst über diesen Umweg bin ich dann auf die spanische gestoßen. Aber am Anfang standen die Lateinamerikaner: Cortázar, Onetti, Roa Bastos, Rulfo – diese Autoren haben mich ungeheuer fasziniert, und ihretwegen habe ich auch begonnen, Spanisch zu lernen. Auch auf Fernando del Paso bin ich gestoßen, den ich dann übersetzt habe. Sein Roman Palinuro de Mexico war das erste Werk, das ich überhaupt übersetzt hatte. Natürlich hatte ich auch die spanischen Klassiker gelesen, aber die eigentliche Faszination lief über den Umweg Lateinamerika.
Was genau fasziniert Sie an den Lateinamerikanern?
Vor allem die Sprachkunst mancher Autoren. Lezama Lima zum Beispiel: Sein Werk war für mich geradezu eine Offenbarung. Auch Juan Rulfo war einer der ganz wichtigen Schriftsteller. Anders als Lezama Lima pflegt er keinen barocken, sondern im Gegenteil einen sehr knappen, präzisen Stil. Gemeinsam ist beiden aber, dass sie eine ganz eigene Sprache gefunden haben, und über einen ganz eigenen Weg die Welt beschreiben.
Im Anschluss an die Lateinamerikaner sind Sie dann also auf Spanien gestoßen. Welche Epochen haben Sie dort am meisten fasziniert?
Zunächst das Siglo de Oro. Das liegt insofern nahe, als diese Epoche das Scharnier zwischen Alter und Neuer Welt bildet, denn in dieser Zeit entdeckten die Spanier ja diesen Kontinent, den sie „Las Indias“ nannten. Zugleich ging die Sprache über den Ozean und hat sich dort dann auf ganz eigene Weise entwickelt. Und sie hat sich viel länger ihren barocken Gehalt bewahrt als das Spanische der Península, der iberischen Halbinsel. Insofern war mir dann auch das Spanische von Cervantes gar nicht so fremd. Vermutlich war es mir sogar näher als den meisten zeitgenössischen spanischen Lesern, denn durch die lateinamerikanische Literatur kam mir diese Sprache bereits recht vertraut vor. Aber das Siglo de Oro hat mich sehr fasziniert – auch und gerade auf dem Gebiet der Lyrik. Góngora zum Beispiel war ein enorm wichtiger Autor für mich. Anschließend gab es ja dann eine recht lange Flaute, bis die Literatur im Modernismo neuen Schwung erhielt: Valle-Inclán, die Generation von ´27 mit Luis Cernuda, García Lorca. Diese Epochen interessieren mich bis heute am meisten.
Sprechen wir über Ihre wichtigste Arbeit: die Übersetzung des Don Quijote. Was hat Sie veranlasst, sich an die Übertragung dieses Werks zu wagen?
Das Gefühl, das Werk müsste neu übersetzt werden, hatte ich schon seit längerem. Denn wenn man spanischsprachige Literatur übersetzt, stößt man in nahezu jedem Werk auf ein Zitat aus dem Quijote. Als Übersetzer schaut man sich dann die gängigen Übersetzungen an und stellt fest, dass das, worauf der Autor Wert gelegt hat, in der Übertragung nicht richtig herauskam. So hatte ich öfter von der Notwendigkeit einer Neuübersetzung gesprochen, ohne dass ich daran gedacht hätte, dass ich selbst das tun sollte.
Dann kam vom Hanser Verlag der Vorschlag, diese Arbeit in Angriff zu nehmen. Am Anfang war ich etwas erschrocken. Aber als ich dann ein Kapitel versuchsweise übersetzt hatte, war ich gebannt von der Arbeit. Ich bemerkte nämlich, dass sich der ganze Roman im Grunde um nichts anderes als die Sprache dreht. Und das ist für Übersetzer natürlich ein kleines El Dorado. Der gesamte Roman handelt eigentlich nur davon, wie sich zwei völlig unterschiedliche Gestalten – Don Quijote und Sancho Panza –, die völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten entstammen, in Gesprächen einander annähern. Und wie sie sich immer besser verstehen, aber auch missverstehen, wie sie einander parodieren und nachahmen – all das zeigt Cervantes durch das Medium der Sprache. Hinzu kommt natürlich der enorme Figurenreichtum – alle Protagonisten haben eine eigene Stimme. Nimmt man dann noch die ganzen Sprach- und Wortspiele und die Sprichwörter hinzu, ergibt sich ein ungeheures Spielfeld für die Sprache. Aber vor allem das Verhältnis zwischen Don Quijote und Sancho Panza hat mich fasziniert. Und da war mir klar, dass ich die Übersetzung übernehmen muss.
Von welchen Prinzipien haben Sie sich bei Ihrer Arbeit leiten lassen?
Don Quijote ist eine Figur, die so sehr mit bestimmten Vorstellungen besetzt ist, dass sich sehr schwer dagegen ankämpfen lässt. Dennoch wollte ich das feststehende Don-Quijote-Bild ebenso wie das von Sancho Panza untergraben, um wieder Bewegung in die Bilder kommen zu lassen. Die anderen Übersetzer haben immer versucht, aus Don Quijote ein bestimmtes Symbol zu machen. Zunächst hat man ihn als Narren dargestellt, der moralisch zu verurteilen sei. Später dann, in der Romantik, galt er als Idealist. Jede Zeit hat versucht, ihn ihrem Weltbild entsprechend zu vereinnahmen. Mir kam es demgegenüber darauf an, Don Quijote nicht auf eine Interpretation festzulegen. Darum habe ich versucht, die Vielschichtigkeit der Figuren zu bewahren, indem ich ihre Sprache differenzierter wiedergebe und einzelne Details deutlicher hervortreten lasse und die Figuren eben nicht sprachlich denunziere – indem ich sie übertrieben schwülstig oder altertümlich reden lasse. Ich wollte den Figuren Freiraum für die sprachliche Entwicklung lassen. Denn auch bei Cervantes ist die Sprache sehr subtil, sie ändert sich bisweilen von Satz zu Satz oder sogar innerhalb eines einzigen Satzes. Darum weiß man eigentlich nie genau, was Don Quijote eigentlich antreibt und wie bewusst er sich seiner Taten und Motive ist. Ebenso offen ist auch, ob er die anderen nicht sogar für seine Zwecke einspannt und die Wirklichkeit sozusagen zwingen will, sich nach seinen Vorstellungen zu verhalten: also kein verblendeter Narr, sondern jemand, der sein radikales Uneinverständnis mit der Welt vorführt. Indem man diese Nuancen berücksichtigt, kann man das herkömmliche Quijote-Bild langfristig vielleicht ein wenig verändern – vielleicht. Möglich ist aber auch, dass sich gegen eine 400 Jahre alte Tradition gar nichts ausrichten lässt. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass man ein etwas differenziertes Bild des Ritters bekommt.
Auf welche Hilfsmittel haben Sie bei Ihrer Übersetzung zurückgegriffen?
Eine wesentliche Vorlage war die neu herausgegebene kritische Ausgabe von Francisco Rico. Sie fasst alle bisherigen Ausgaben zusammen und bietet ungeheuer viel Material. Erstaunt hat mich aber, dass diese eigentlich akademische Ausgabe auch Dinge erklärt, die ein durchschnittlicher spanischer Leser heute eigentlich sehr wohl noch verstehen müsste. Denn so fern scheint mir die Sprache Cervantes´ nun doch nicht zu sein. Im Zeitalter des Internets hat man zudem die Möglichkeit, eine Unmenge historischer spanischer Wörterbücher einzusehen. Außerdem habe ich natürlich den Covarrubias genutzt, das Standardwerk zum Sprachstand der Cervantes-Zeit. Auch dieses Werk war mir eine große Hilfe. Demgegenüber muss man sich vorstellen, dass der erste Übersetzer des Cervantes, Pahsch Basteln von der Sohle – ein Pseudonym von Joachim Caesar –, für seine 1623 erschienene Übertragung nicht einmal ein spanisch-deutsches Wörterbuch zur Verfügung hatte. Das gab es damals noch gar nicht. Insofern war das eine ungeheure Pionierleistung. Außerdem war mir eine zehnbändige, 1948 von Rodriguez Marín editierte Ausgabe von Nutzen, die zu sämtlichen nicht ganz so üblichen Ausdrücken und Redewendungen Belege aus dem Zeitalter Cervantes´ bringt. Und das ist für einen Übersetzer natürlich eine große Hilfe.
Zugleich habe ich natürlich auch über das Deutsche sehr viel gelernt. Denn auf der Suche nach Quijote-tauglichen Wörtern habe ich immer wieder den gesamten Sprachschatz vom Barock bis zur Gegenwart durchforstet. So habe ich gleich noch eine kleine Entdeckungsreise durch die eigene Sprache unternehmen dürfen: eine weitere Freude für mich bei dieser sechsjährigen Arbeit.
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Die Veröffentlichung des Interviews erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Susanne Lange und von New Spanish Books, wo es erstmals erschienen ist: http://www.newspanishbooks.de/interview/susanne-lange-ein-el-dorado-f-r-bersetzer
Miguel de Cervantes Saavedra: Don Quijote von der Mancha, neuübersetzt von Susanne Lange, München: Hanser 2008, 1488 Seiten.
Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) gilt als Nationaldichter Spaniens. Diesen Ruf hat ihm insbesondere sein zweibändiges Werk Don Quijote de la Mancha (1605 und 1615) eingebracht, das zudem auch als Gründungswerk des modernen Romans gilt. Daneben schrieb Cervantes zahlreiche Komödien, Gedichte und Novellen. Bekannt ist hier insbesondere die Sammlung der Novelas ejemplares (1613), mit denen er in Spanien auch eine neue literarische Form einführte.
Susanne Lange, geb. 1964, ist eine der bekanntesten Übersetzerinnen aus dem Spanischen. Sie hat Werke von Juan Rulfo, Luis Cernuda, García Lorca, Fernando del Paso, José Manuel Prieto und vielen anderen spanischen und lateinamerikanischen Autoren übersetzt. Als ihr Hauptwerk gilt die vollständige Neuübersetzung der beiden Bände des Don Quijote. Im Wintersemester 2010/2011 hatte sie an der Freien Universität Berlin die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft inne. Für ihre Arbeit als Übersetzerin erhielt sie 2005 den Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft in Deutschland sowie 2009 den Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.