Unter Filmfans ist es eine beliebte Streitfrage: Synchronfassung oder Original mit Untertiteln? Beide Methoden des Sprachtransfers haben ihre Vor- und Nachteile. Deutschland ist und bleibt zwar ein traditionelles ‚Synchron-Land‘, doch seit dem Siegeszug der DVD sind Untertitel zumindest immer öfter als Alternative verfügbar. Beide Übersetzungen entstehen üblicherweise unabhängig voneinander – und das aus gutem Grund, denn bei der Synchronfassung stehen andere Kriterien im Vordergrund als bei der Untertitelung, die der Zuschauer jederzeit mit dem Original vergleichen kann.
Aber gerade deshalb ist das Untertiteln für mich eine sehr dankbare Aufgabe, denn ich kann dem Zuschauer eine Übersetzung an die Hand geben, ohne ihm das Original wegzunehmen. Die kreative Kopfarbeit, die jeder Übersetzer leisten muss, wird darüber hinaus beim Filmeuntertiteln durch einen handwerklichen Aspekt ergänzt: Die Untertitel müssen quasi gebastelt oder geschnitzt werden, und wenn sie fertig sind, sehe ich das Resultat sofort auf dem Bildschirm. Deshalb hänge ich so an diesem Beruf, obwohl die Arbeitsbedingungen in der Branche deutlich schwieriger geworden sind (siehe dazu auch den Artikel von Nadine Püschel in dieser ReLü-Ausgabe).
Als Untertitler habe ich in den letzten 15 Jahren die verschiedensten Genres übersetzt und bearbeitet: von der Teenagerkomödie bis zur Literaturverfilmung, von der Geschichtsdoku bis zum Künstlerporträt. Da ich nicht nach Textmenge, sondern pro Film-Minute bezahlt werde, habe ich aus ganz pragmatischen Gründen eine Vorliebe für ruhige, wortkarge Produktionen entwickelt. Regisseure, die gern musikalisch untermalte Landschaftsaufnahmen in ihre Filme einstreuen, sind mir sehr sympathisch, denn auf diese Weise wird mein ‚Stundenlohn‘ ein wenig aufgebessert.
Doch auch dialoglastige Filme haben natürlich ein Recht darauf, untertitelt zu werden – Mischkalkulation heißt das Zauberwort. Zudem bleibt in der schnelllebigen Film- und Fernsehbranche meist gar keine Zeit, sich ein Projekt genauer anzusehen, ehe man den Auftrag annimmt. Man erfährt die Länge des Films, bespricht den Abgabetermin mit dem Auftraggeber, kann bestenfalls noch einen kurzen Blick ins Skript werfen – und schon geht’s los.
Wenn ein Skript (zusätzlich zur Videodatei als Arbeitsmaterial) überhaupt mitgeliefert wird, kann man sich schon glücklich schätzen, denn bei Interviews, Reportagen oder Bonusmaterial für DVDs existiert oft überhaupt keine schriftliche Fassung der Dialoge, und man ist allein auf sein Hörverständnis angewiesen. Für das Abhören zahlt der Auftraggeber zwar im Normalfall einen Aufpreis, aber mühsam bleibt es dennoch.
Immerhin – bei aktuellen Kinofilmen gibt es meistens ein „Post Production Script“ oder eine „Combined Continuity“. Darin sind nicht nur die Dialoge enthalten, sondern auch einige Zusatzinformationen, wie zum Beispiel Erläuterungen von Slang-Ausdrücken, Redewendungen oder Zitaten. Das kann eine wertvolle Hilfestellung für die Übersetzung sein, auf die man sich allerdings nicht zu sehr verlassen sollte – manchmal werden simple Begriffe erklärt, die in jedem Wörterbuch stehen, während die wirklich schwierigen Dinge fehlen.
Auch für den Kinofilm End of Watch (Buch und Regie: David Ayer) lag mir im Sommer 2012 eine solche ausführliche Continuity vor. Der Film spielt in den Straßen von Los Angeles; die Hauptfiguren sind Polizisten und Gangster, weswegen die Dialoge viele Slang-Ausdrücke und Flüche enthalten. Als ich mir den Film ansah, dämmerte mir bald, worauf ich mich hier eingelassen hatte. Der Held, Officer Brian Taylor (dargestellt von Jake Gyllenhaal), baut sich vor der Kamera auf und erklärt, er wolle seine Arbeit als Polizist in einem der gefährlichsten Bezirke von L.A. dokumentieren – angeblich für ein Studienprojekt. Dementsprechend kommt der Film überwiegend im Reality-Stil daher: mit Minikameras, die an den Uniformen von Taylor und seinem Kollegen Zavala befestigt sind, mit Aufnahmen einer Überwachungskamera im Streifenwagen und verwackelten Handkameras.
Nun könnte man meinen, für den Untertitler sei das eigentlich egal, denn er soll ja die Dialoge untertiteln und nicht die Bilder. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn in der Untertitelungsbranche gibt es eine goldene Regel: Untertitel sollen nicht über einen Bildschnitt hinaus stehen bleiben. Das hat zum einen ästhetische Gründe (es sieht einfach schöner aus, wenn die Untertitel dem Schnittrhythmus folgen), zum anderen dient es auch der Lesbarkeit, denn nach dem Schnitt kehrt das menschliche Auge oft instinktiv zum Zeilenanfang zurück, und man liest den Untertitel unwillkürlich ein zweites Mal.
Diese goldene Regel hat allerdings einen Haken: Bei Filmen, die im Sekundentakt geschnitten sind, lässt sie sich längst nicht immer befolgen. Ein Untertitel, der für eine Sekunde eingeblendet wird, soll nur zehn Zeichen lang sein. Und mit zehn Zeichen kommt man nicht weit. In zwei Sekunden dürfen es schon bis zu 30 Anschläge sein, in drei Sekunden 50. Erst wenn vier bis fünf Sekunden zur Verfügung stehen, soll die maximale Zeichenzahl eines Untertitels (zwei Zeilen à 40 Anschläge) ausgeschöpft werden, sonst kommt der Zuschauer im Kinosessel mit dem Lesen kaum hinterher.
Da schon die ersten Minuten von End of Watch nicht mit schnellen Schnitten geizen, war mir schnell klar, dass das Timing der Untertitel (auch Spotting genannt) nicht einfach werden würde. Manchmal erledige ich Timing und Übersetzung in einem Arbeitsgang, doch in diesem Fall wollte ich lieber erst das Spotting erledigen, um schon einmal ein Grundgerüst zu haben und mich im zweiten Durchlauf auf die Übersetzung konzentrieren zu können. Insgesamt hatte ich für den Auftrag knapp zehn Tage Zeit, was für einen 105-minütigen Spielfilm schon beinahe üppig ist. Aber es sollte sich herausstellen, dass es kein Tag zu viel war…
Los ging’s also mit dem Timing, das heißt, es musste festgelegt werden, wann jeder einzelne Untertitel ein- und wieder ausgeblendet werden soll. Das wird mit einer speziellen Software erledigt, mit der man Bild für Bild vor- und zurückspulen kann. Da die Videodatei eine Laufgeschwindigkeit von 25 Frames pro Sekunde hat, lassen sich die Untertitel bis auf eine Fünfundzwanzigstelsekunde genau spotten – synchron zum Sprachanfang und zum Bildschnitt. Je präziser das geschieht, desto besser passen sich die Untertitel dem Rhythmus des Films an. Die besagte goldene Regel wurde bei End of Watch allerdings immer mehr zur Ausnahme: Damit die Untertitel in dialoglastigen Sequenzen drei bis vier Sekunden im Bild sind, müssen sie oft über zwei, drei Schnitte hinweg stehen bleiben. Es lebe der Kompromiss!
Eine weitere Herausforderung war der Polizeifunk, der in vielen Szenen zu hören ist. Wenn sich parallel dazu die Protagonisten unterhalten, werden natürlich vorrangig deren Dialoge untertitelt, doch oft treten die Funksprüche kurzzeitig in den Vordergrund und können nicht einfach ignoriert werden – also schiebt man schnell noch einen Untertitel dazwischen. Zur besseren Unterscheidung werden Funksprüche, Lautsprecherdurchsagen, Telefon- oder Radiostimmen üblicherweise kursiv gesetzt.
Nach dem Spotting konnte ich die Textmenge genauer einschätzen: 1.200 Untertitel in 105 Minuten – etwas über dem Durchschnitt, aber nicht ganz so viel wie anfangs befürchtet. Und auch der Film selbst hatte mich inzwischen positiv überrascht: auf den ersten Blick zwar ein Actionfilm mit wilden Verfolgungsjagden, doch die Hauptfiguren wirken sehr authentisch. Ihre Dialoge gehen trotz aller Kraftausdrücke über die übliche Sprücheklopferei hinaus und geben der Handlung einen gewissen Tiefgang.
Nun hatte ich also mein Grundgerüst: 1.200 leere Untertitel, die mit der Übersetzung gefüllt werden wollten. Der Zwang zum Kürzen war dabei, wie so oft, Fluch und Segen zugleich. Als ich kurz nach dem Studium mit dem Untertiteln anfing, kam mir noch jedes gestrichene Adjektiv und jede verlorene Modalpartikel wie ein Stich ins Herz vor. Doch irgendwann habe ich dann gelernt, die Dialoge zu entrümpeln und notfalls auch ganze Sätze rauszuwerfen, ohne den Sinn zu verfälschen. Bei End of Watch war das allerdings nicht so einfach, denn es mussten viele Detailinformationen transportiert werden, die für die Handlung wichtig sind. Und der umgangssprachliche Charakter der Dialoge sollte möglichst auch nicht ganz verloren gehen. Andererseits konnte ich (es musste ja gekürzt werden!) auch guten Gewissens manches „fuck“ oder „fucking“ und den einen oder anderen „motherfucker“ entsorgen…
Interessant war die Frage nach dem Umgang mit einigen anderen Slang- und Jargonausdrücken. Was macht man mit „bro’“ (Kurzform von „brother“) und „homeboy“? Normalerweise sträube ich mich dagegen, so etwas im Original zu belassen, aber für South Central L.A. kam mir „Kumpel“ wiederum zu deutsch vor. Also blieben die englischen Begriffe zunächst einmal stehen. Und dann das allgegenwärtige Wort „bitch“… Oft wird es mit „Schlampe“ übersetzt, manchmal mit „Zicke“, aber mir ist das in vielen Fällen zu negativ – erst recht, wenn Officer Zavala halb genervt, halb liebevoll-ehrfürchtig von seiner Ehefrau spricht. Da fand ich das schöne Wort „Luder“ am treffendsten. Aus dem Verb „to disrespect“ wurde das straßentaugliche „dissen“, und „to date someone“ habe ich mit leichten Bauchschmerzen verdenglischt („jemanden daten“), denn „mit jemandem ausgehen“ wäre zu lang gewesen.
Apropros zu lang: Ein senkrecht startendes Fluggerät mit rotierenden Tragflächen bezeichne ich eigentlich immer als „Hubschrauber“, aber der „Helikopter“ verbraucht zwei Zeichen weniger, und zwei Anschläge können beim Untertiteln ein starkes Argument sein. Das ist übrigens auch der Grund, warum mir das Wort „quasi“ im Laufe der Jahre sehr ans Herz gewachsen ist – man kann es als Quasi-Synonym für „sozusagen“, „gewissermaßen“ oder „ungefähr“ benutzen. Es ist quasi universell einsetzbar. Schade, dass ich es in End of Watch nicht unterbringen konnte…
Ein Beispiel für Abweichungen zwischen geschriebenem und gesprochenem Text tauchte dann noch am Ende des Films auf. „Rest in peace“ hieß es im Skript, doch was die Gangsterschlampe da sagte, klang eher nach „Rest in piss“. Google wusste zu berichten, dass Rest in piss ein Songtitel des Rappers Brotha Lynch Hung ist, und der Eintrag im Urban Dictionary (das ansonsten mit Vorsicht zu genießen ist) passt diesmal haargenau zum Kontext des Films: „Used as a universal insult for ‚tellin‘ some nigga that he ain’t shit, and he can go to hell‘.“ Also bleibt „Rest in Piss“ unübersetzt und wird mit Anführungszeichen als Zitat gekennzeichnet – in der Hoffnung, dass ein Teil des Publikums den Songtitel wiedererkennt.
Am Ende jeder Untertitelung steht natürlich ein Korrekturdurchgang. Der besteht nicht nur aus einer Rechtschreibprüfung, sondern ich sehe mir den kompletten Film noch einmal mit Untertiteln an. End of Watch hat dabei Gelegenheit zu vielfältigen Korrekturen geboten: umformulieren, kürzen, Spotting verändern. Manchmal merkt man zum Beispiel, dass zugunsten der Lesbarkeit zwei kurze Untertitel zu einem längeren zusammengefasst werden sollten. Und schließlich kommt dann irgendwann der Moment, in dem man sein Werk loslassen muss – trotz vermeintlicher oder tatsächlicher Unvollkommenheit. Der Abgabetermin ist gekommen, der nächste Auftrag wartet, und der Kühlschrank muss wieder aufgefüllt werden.
Die Untertitel werden dann beim Auftraggeber lektoriert, der Kunde (in diesem Fall der Filmverleih) bekommt den untertitelten Film zur Ansicht und kann noch Korrekturen veranlassen. Bei End of Watch konnte ich die Änderungen sogar telefonisch mit der Kundin besprechen. Das ist nicht unbedingt die Regel, aber ich mache das sehr gerne, weil ich dadurch ein direktes Feedback auf meine Arbeit bekomme und erfahre, dass Wert auf Qualität gelegt wird. Es lohnt sich, auch über Nuancen zu diskutieren, und in einigen Fällen findet man erst gemeinsam die beste Übersetzungsvariante, auf die man vorher allein nicht gekommen ist. So haben wir uns zum Beispiel darauf geeinigt, den „bro’“ durchgängig mit „Alter“ zu übersetzen.
Mittlerweile ist End of Watch in den deutschen Kinos gelaufen, und wer bis hierher gelesen hat, fragt sich vielleicht, warum ich den Film überhaupt untertitelt habe, wenn er doch überall synchronisiert zu sehen war… Die Frage ist berechtigt, denn in vielen Städten sucht man OmU-Fassungen vergeblich. Bis vor wenigen Jahren, als in allen Kinos noch echte Filmrollen durch den Projektor ratterten, wurden nur wenige Kopien im aufwändigen Laserverfahren mit Untertiteln versehen, und diese Kopien waren dann überwiegend auf Leinwänden in Berlin, Hamburg, München oder Köln zu sehen. Heute sind allerdings viele Kinos längst digitalisiert, und die Filmrollen werden Zug um Zug durch Festplatten ersetzt. Wenn also die Untertitel schon existieren, wäre es den Verleihen inzwischen ohne größere finanzielle Risiken möglich, flexibel auf die Wünsche des Publikums zu reagieren und OmU-Fassungen auch in mehreren Städten gleichzeitig anzubieten. Erste Ansätze dazu gibt es bereits. Fragen Sie ruhig einmal in Ihrem Kino vor Ort nach, denn nur erhöhte Nachfrage führt zu einem besseren Angebot. Ansonsten bleibt nur das Warten auf die DVD-Veröffentlichung – hoffentlich mit Untertiteln.
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David Ayer (Drehbuch und Regie): End of Watch, USA 2012, mit Jake Gyllenhaal und Michael Peña, untertitelt aus dem Amerikanischen von Frank Sahlberger. Deutscher Kinostart: 20. Dezember 2012
David Ayer wurde 1968 in Champaign, Illinois, geboren. In Hollywood machte er sich seit dem Jahr 2000 einen Namen als Drehbuchautor der Filme U-571 und Training Day. Mittlerweile führt er auch selbst Regie und ist mit End of Watch wieder an den Schauplatz von Training Day zurückgekehrt: in die Problembezirke von Los Angeles.
Frank Sahlberger, geb. 1971 in Walsrode, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und arbeitet dort seit 1997 als freier Übersetzer und Untertitler. Zu seinen bisherigen Projekten zählen u.a. Der Vorleser von Stephen Daldry, Burn after Reading von Joel & Ethan Coen, Der Pianist von Roman Polanski sowie Fahrenheit 9/11 von Michael Moore.
Super Artikel! So versteht man auch als Laie, worum’s geht.
[…] – Untertitler ist auch ein ganz besonderer Job. Frank Sahlberger über seine Arbeit als Untertitler: „Wo der Helikopter noch landen kann, ist es für den Hubschrauber schon zu eng. […]
OmU ist super und das einzig Wahre! Schöne Beschreibung Deiner Arbeit, Danke!
Sehr schön, in vielen Sachen findet man sich als „Hobby“-Übersetzer bei SubCentral wieder.
[…] Wo der Helikopter noch landen kann, ist es für den Hubschrauber schon zu eng « ReLü „Ein Untertitel, der für eine Sekunde eingeblendet wird, soll nur zehn Zeichen lang sein. Und mit zehn Zeichen kommt man nicht weit. In zwei Sekunden dürfen es schon bis zu 30 Anschläge sein, in drei Sekunden 50. Erst wenn vier bis fünf Sekunden zur Verfügung stehen, soll die maximale Zeichenzahl eines Untertitels (zwei Zeilen à 40 Anschläge) ausgeschöpft werden, sonst kommt der Zuschauer im Kinosessel mit dem Lesen kaum hinterher.“ […]
Bedankt. Knapp, klar und präzise formuliert. Und auch das Herzblut net vergessen. Sollte als allgemeiner zugänglicher Beitrag vielleicht auch bei „wikipedia“ (wenn das dem Verfasser recht wär) stehen.
Ein wirklich interessanter Artikel, da haette man fast Lust, in seiner Freizeit Hobby-Filmuntertitler zu werden, nur fuer Amateurfilme natuerlich, einfach um sich den Kopf ueber passende Uebersetzungen zu zerbrechen. Uebrigens, à propos „bitch“, falls das Wort mal auf oesterreichisch uebersetzt werden muesste, da stuenden dann noch „die Flitschn“ fuer eine erwachsene Frau bzw „das Flitscherl“ fuer ein junges Maedchen zur Auswahl. 🙂