Eine Schüssel, randvoll gefüllt mit Couscous und Liebe, steht auf dem schlichten Holztisch in Slimanes Zimmer. „Bismillah. Merci“, murmelt seine Stieftochter Rym und stopft sich einen Löffel der köstlichen Speise in den Mund. Sonnenlicht fällt ihr seitlich aufs Gesicht, legt einen Schimmer auf ihren schwarzen Zopf, die dichten Wimpern, den geöffneten Mund. Rym schiebt etwas Fisch nach, schleckt sich die Finger ab und schlemmt und schmatzt genüsslich weiter.
Majid und Riadh, Slimanes Söhne aus geschiedener Ehe, können sich nicht sattsehen an diesem Schauspiel. „Tut mir leid“, entschuldigt sich Rym bei ihnen, „wenn’s Couscous gibt, vergess ich alles.“ Majid vergisst nicht, weshalb er gekommen ist: Um den Vater zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen, ihn zu drängen, Frankreich und damit auch seine neue Familie zu verlassen. Beim Abwasch schimpft Rym: „Soll er doch zurückgehen. Ein Blödmann weniger. Ich hätt’s ihm auch gesagt, aber aus Respekt vor dir und dem Couscous…“
In Abdellatif Kechiches mehrfach ausgezeichnetem Film Couscous mit Fisch (im Original La graine et le mulet) sind die Münder ständig in Bewegung. Werden sie nicht gerade zum Essen gebraucht, dann sind sie mit Lachen, Streiten, Schwatzen beschäftigt (und in einer der schönsten Szenen tun sie all dies gleichzeitig). Nur einer redet wenig und lacht nie: Hauptfigur Slimane Beiji (Laiendarsteller Habib Boufares in seiner ersten Filmrolle).
Slimane sind die Worte und die Lebenslust abhandengekommen. Der geschiedene Vater mehrerer erwachsener Kinder lebt bei seiner neuen Lebensgefährtin Latifa und deren Tochter Rym (begeistert mit sinnlichem Spiel und viel Bauchgefühl in ihrer ebenfalls ersten Filmrolle: Hafsia Herzi), die ein kleines Hotel im Hafen der südfranzösischen Fischerstadt Sète betreiben. Gerade hat der 61-Jährige seine Anstellung als Werftarbeiter verloren. Er fühlt sich alt und wertlos. Die Verwirklichung eines alten Traums soll ihm aus der Tristesse verhelfen: die Eröffnung eines schwimmenden Restaurants, auf dem Couscous mit Fisch serviert wird.
Von seiner Abfindung erwirbt Slimane einen alten Kahn. Doch Bank und Behörden verweigern ihm die benötigten Kredite und Papiere. Slimane setzt alles auf eine Karte und lädt Freunde, Familie und Offizielle zu einem Fest auf das Schiff ein. Der Abend beginnt gut, doch dann ist der vorbereitete Couscous auf einmal unauffindbar. Während Slimane auf der Suche nach dem Couscous durch die Nacht hetzt, versucht Rym, die Gäste mit einem ekstatischen Bauchtanz bei Laune zu halten.
Ein französischer Kritiker schreibt über den Film: „La graine et le mulet ce n’est pas du cinéma qui ressemble à la vie, c’est de la vie qui ressemble au cinéma“,[1] also etwa: „Couscous mit Fisch ist kein lebensechter Film, sondern filmreifes Leben.“ Das ist zwar hochgegriffen, aber nicht daneben.
Die Filmdialoge kommen so ungekünstelt und lebensecht daher, als sei rein zufällig eine Kamera dabei gewesen beim Sonntagsessen der Beijis, bei Slimanes Behördengängen oder beim kurzen Schnack mit der Nachbarin. Dem Drehbuchautor Kechiche kommen da gewiss seine eigenen Schauspielerfahrungen sowie die künstlerische Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Ghalya Lacroix zugute. Und natürlich profitiert er auch von seinen großartigen Schauspielern. Dank deren Hebammenkunst werden Wörter zu Sprache, Sprache zu Leben und das Leben dann zum Film (oder eben zum filmreifen Leben).
Auch Übersetzen ist eine Hebammenkunst. Und das Übersetzen von Dialogen nicht selten eine Schwerstgeburt: Gesprochene Sprache darf auf Papier festgehalten werden, aber nicht papieren sein. Davon wissen Literaturübersetzer ein Lied zu singen – in das die Untertitler aus voller Kehle einstimmen. Und diese grübeln nicht nur über die perfekte Übersetzung nach, sondern werden noch zusätzlich durch Zeit- und Platzeinschränkungen gefordert. So ist Untertiteln nicht selten eine kreative Zensur: Es muss gestrichen, gerafft und gekürzt werden, damit es passt – und zwar in höchstens zwei Zeilen mit begrenzter Zeichenanzahl und in die zur Verfügung stehende Einblendezeit.
Doch bei Isabel Meyns und Andrea Kirchhartz‘ Untertitelung von Couscous mit Fisch passt einfach alles. Hier beweisen die beiden Untertitlerinnen, dass Kürzen keinesfalls gleichzusetzen ist mit Verlust. So etwa beim Sonntagsmahl der Beijis: Mama Souad hat zum sonntäglichen Couscousessen eingeladen, und die ganze Familie sitzt beisammen. Am Tisch geht’s kreuz und quer, das Essen wird in höchsten Tönen gelobt, es wird gefrotzelt und gestichelt, über Couscous und das Leben philosophiert – und alle haben ein Wörtchen mitzureden. Diese wundervolle Szene dauert 10 Minuten, und sie ist ein Graus für jeden Untertitler! Viele Schnitte – dabei sollte ein Untertitel möglichst nie ,über den Schnitt stehenʽ –, viel Text und viele Sprecher, die sich rasch abwechseln (oder einfach parallel plappern), – und doch soll der Zuschauer nicht nur mit der Lektüre der Untertitel beschäftigt sein.
Genau das passiert ihm bei der ökonomischen, vor allem aber spritzig und mitreißend übersetzten Untertitelung von Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz auch bestimmt nicht. Und so darf der Zuschauer Souad Beijis Ausführungen zur Liebe genüsslich folgen, als das Tischgespräch auf ihren Ex-Mann Slimane fällt, den sie nach Ansicht ihrer Kinder immer noch liebt:
„L‘ amour? Yahassra aâlik. C’est pas ça, l’amour.“
„Liebe? Hast du eine Ahnung!“, entgegnet sie ihrer jüngsten Tochter.
„L’amour… Ça c’est ‘eschra. C‘est plus fort que l’amour, c’est l’habitude. Y a de tout dedans : L’amour, l’amitié, de tout, tout, tout.”
„Liebe… Das ist ’Eschra. ’Eschra ist stärker als Liebe. Es ist Gewohnheit… Da steckt alles drin: Liebe, Freundschaft…“
Doch mit dieser Antwort gibt sich die Familienmeute immer noch nicht zufrieden, einer der Schwiegersöhne stichelt weiter:
„Souad, si je peux me permettre, vu son assiette il y a toujours de l’amour. Elle a été preparée avec amour.“
„So wie Sie ihm den Teller hergerichtet haben, ist da noch Liebe. Er wurde mit Liebe gefüllt.”
Erst mit einer geballten Ladung Lebensweisheit und einer kleinen Drohung gelingt es Souad schließlich, die aufmüpfige Sippschaft zum Schweigen zu bringen:
„Le couscous aussi je l’ai préparé avec l’amour, alors. L’amour… Ça s’entretient au quotidien. C’est de bons rapports. Mais ça se mérite. Ecoutez tous! Ou bien vous arrêtez vos micmacs, vous me cassez les pieds, ou bien je sors le dossier tout de suite.“
„Ich hab auch mit Liebe gekocht, na und? Liebe muss man täglich pflegen. Es ist ein guter Umgang miteinander, aber… man muss sie auch verdient haben. Jetzt hört mal alle her: Wenn ihr nicht sofort mit euren Spielchen aufhört, zitier ich aus der Scheidungsakte.“
Souads Worte kann man sich hinter die Ohren schreiben oder aufs Sofakissen sticken. Dann aber bitte die Urheber der deutschen Fassung nicht vergessen: Souad Beiji, aus dem Französischen untertitelt von Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz.
Doch um die Namen dieser beiden ,Schattenfrauenʽ zu ermitteln, die hier so wunderbar untertitelt haben, bedarf es schon ein wenig detektivischen Gespürs. Ein Blick auf die DVD-Hülle, den Filmabspann, ins Internet brachte – nichts. Erst eine E-Mail an den Filmverleih Arsenal führte auf die richtige Fährte und mich zu SUBS, einer bekannten Hamburger Untertitelungsagentur, in deren Auftrag Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz 2008 die mit der DVD-Untertitelung identische Kino-Untertitelung angefertigt hatten.
Und deren Untertitelung ist vom ersten bis zum 1679. Untertitel, denn so viele hat Couscous mit Fisch, vom Timing bis zur Übersetzung lebensecht – und filmreif. Zum Beispiel als Rym nach einem Streit zwischen Slimane und ihrer Mutter die beiden wieder versöhnen will: „Und wozu?“, fragt Slimane, „sie guckt mich ja doch nur schief an.“ Ryms Lachen wischt allen Ärger weg: „Dann gucken wir beide schief zurück.“ Oder die Szene, in der die Musiker bei einem Käffchen das Wohl und Weh von Slimanes Couscous-Restaurant diskutieren. Oder wenn Rym ihre Mutter überreden will, auf das Fest zu gehen, und gegen Souad stänkert: „Also echt, nicht, weil du meine Mutter bist, aber du bist echt der Hammer. Du bist schön, jung, du hast alles. Alles, was die kann, ist andere kritisieren, tratschen und kochen. Mehr nicht! Also, da bin ich lieber der Hammer, als dass ich kochen kann, ehrlich.“
Vielleicht schaut keine andere Spielart der kreativen Übersetzung dem Volk so sehr aufs Maul wie die Filmübersetzung. Und mit ihrer wunderbaren, lebendig-leichten Untertitelung von Couscous mit Fisch haben Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz ein Lehrstück in Sachen Dialogübersetzung abgeliefert. „Ich versuche, das Wesentliche des Gesagten zu erfassen und so knapp wiederzugeben, dass es in die Struktur der Untertitelung passt“, verrät etwa Isabel Meyn. So schlicht und pragmatisch, dabei aber erwiesen wirkungsmächtig ist ihre Herangehensweise an die Filmübersetzung.
Filmuntertitelung ist Filmübersetzung plus; die untertitlerische Trias erst komplett, wenn durch kluges Timing auch das Zeit- und Platzproblem gelöst wurde. Denn die schönste Übersetzung ist vergebens, wenn sie schon wieder verschwindet, bevor der Zuschauer sie gelesen hat. Also haben Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz sich die Arbeit geteilt, wie Isabel Meyn erläutert: „Die Aufteilung in zwei Übersetzerinnen bzw. Untertitlerinnen sah bei Couscous mit Fisch so aus, dass ich anhand der französischen Vorlage, also Dialogskript und Film, die bestehende englische Untertitelliste ,überschrieben’ und dann stückweise bei Andrea Kirchhartz abgeliefert habe. Sie saß am Timing und hat entsprechend angepasst, teils gekürzt und insgesamt noch einmal redigiert. Außerdem hat sie begleitend ebenfalls intensiv recherchiert und die Übersetzung somit abgerundet.“
Eine solche Arbeitseinteilung sei häufig und biete sowohl Vor- als auch Nachteile, so Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz. Doch wenn wie bei den beiden ,die Chemie stimmt’, überwiegen die Vorteile, vor allem wenn die Filmuntertitelung unter Zeitdruck entsteht, „was“, wie die beiden berichten, „leider meistens zum Alltag gehört“ und auch bei Couscous mit Fisch der Fall war. Dem Endprodukt ist davon nicht das Geringste anzumerken, und das ist dem Dreamteam Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz zu verdanken. Couscous mit Fisch war übrigens ihre erste Zusammenarbeit– eine Fortsetzung folgt hoffentlich.
Nur schade, dass die beiden so versteckt gehalten werden… Dabei gehört die Untertitelung zum Film wie der Couscous zum Fisch – und damit auch die Namen der Untertitler an die richtige Stelle: auf die Website, in den Ab- oder Vorspann und gerne auch auf die DVD-Hülle. Denn eigentlich gehört sich das so. Aus Respekt vor dem Kino und dem Untertitler.
—
Abdellatif Kechiche (Drehbuch und Regie): Couscous mit Fisch (La graine et le mulet), Frankreich 2007, mit Habib Boufares und Hafsia Herzi, aus dem Französischen untertitelt von Isabel Meyn und Andrea Kirchhartz im Auftrag von SUBS Hamburg, good!movies DVDs 2009.
Der Regisseur, Schauspieler und Autor Abdellatif Kechiche wurde 1960 in Tunis geboren und zog im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach Frankreich. Nach einer Schauspielausbildung arbeitete er als Theaterschauspieler und -regisseur. Im Jahr 1984 hatte Kechiche sein Debüt vor der Kamera. Den Einstand hinter der Kamera, als Regisseur und Drehbuchautor, feierte Kechiche 2001 mit seinem ersten Spielfilm, La faute à Voltaire (Voltaire ist schuld), zwei Jahre später folgte L’esquive (Nicht ja, nicht nein); beide Filme wurden mehrfach ausgezeichnet. Ebenso wie Couscous mit Fisch, der 2007 in Venedig den Spezialpreis der Jury erhielt, und 2008 u.a. die Königskategorien der französischen Césars, Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch, gewann. Im selben Jahr wurde Kechiche, gemeinsam mit Fatih Akin, der europäische Medienpreis für seinen Beitrag zur europäischen Integration verliehen.
Isabel Meyn ist Deutsch-Französin mit M.A. in Spanisch und Literaturwissenschaft. Die bekennende Autodidaktin mit gut ausgebildetem Gehör für Feinheiten zwischen Sprachen übersetzt seit 2001 aus dem Französischen und Spanischen diverse AV-Formate, u. a. für Untertitelungen und Synchronisationen, für Spiel- und Dokumentarfilme mit Ausstrahlung auf arte-TV und TV5 Monde, für Filmfestivals und DVD-Verwertungen. Sie übersetzte u.a. Rue des Figuiers (Marfouz und die Frauen, F 2004) von Yasmina Yahiaoui, Bent Keltoum (Die Tochter von Keltoum, B/F/TN 2001) von Mehdi Charef sowie La Captive (Die Gefangene, F 2000) von Chantal Akerman.
Andrea Kirchhartz hat Germanistik, Theater-, Film- u. Fernsehwissenschaften in Köln und Paris studiert und arbeitet nach mehrjähriger Tätigkeit in diversen Filmberufen seit 1999 als Filmübersetzerin aus dem Französischen, Englischen und Italienischen für Untertitel, Voice-Over und Synchronisation. Sie untertitelte u.a. Les plages d’Agnès (Agnès’ Strände, F 2008) von Agnès Varda, Alla ricerca di Tadzio (Auf der Suche nach Tadzio, I 1970) von Luchino Visconti und Letter from an unknown woman (Brief einer Unbekannten, USA 1948) von Max Ophüls. Außerdem führt sie Regie bei Sprachaufnahmen, übersetzt Drehbücher, filmwissenschaftliche Aufsätze und Sachbücher und dolmetscht auf Filmsymposien und -kongressen sowie bei Dreharbeiten.
Silke Pfeiffer studiert seit 2006 Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit den Sprachen Englisch und Französisch. Für ReLü 14 koordinierte sie den Schwerpunkt „Übers Untertiteln“.
[1] http://www.vodkaster.com/Films/La-graine-et-le-mulet. Für die inspirierende Übersetzung des Zitats dankt die Verfasserin Nadine Püschel.
Ich hoffe, dass der Film auch bei uns anlaufen wird.
In den großen Kinos hat so eine Perle leider nur selten eine Chance.
Aber vllt wird das ja mal eine Ausnahme…
LG
Lieber Gaspard,
„Couscous mit Fisch“ lief bereits 2007 im Kino, auch in Deutschland. Mittlerweile gibt’s den Film schon auf DVD.
Und da Monsieur Kechiche dieses Jahr in Cannes für „La Vie d’Adèle“ mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, kommen, zumindest die Programmkinos – zum Glück! -, nicht mehr „um ihn rum“. Apropos: „La vie d`Adèle“, zu deutsch „Blau ist eine schöne Farbe“, startet am 19.12.2013 in den deutschen Kinos – hoffentlich auch in einem Kino in Ihrer Nähe, Gaspard, und hoffentlich in dem ein oder anderen Lichtspielhaus auch in OmU…
Liebe Grüße
Silke