Seit Erscheinen seiner ersten Kurzgeschichtensammlung Bar Sport im Jahr 1976 hat sich Stefano Benni zu einem überaus produktiven Schriftsteller entwickelt, dessen Werk neben diversen Gedichtbänden, Drehbüchern, Theatertexten und Zeitungskolumnen elf Romane und zehn Kurzgeschichtensammlungen umfasst. Acht seiner Bücher wurden bisher ins Deutsche übersetzt. Doch während sich italienische Fans fast jedes Jahr über ein neues Buch von „Il lupo“, so Bennis Spitzname, freuen können, sind inzwischen fast sechs Jahre vergangen, seit sich zuletzt ein deutscher Verlag an die Übersetzung eines seiner Texte gewagt hat. Diese Zurückhaltung ist verständlich, schließlich war den vorangegangenen deutschen Übersetzungen verglichen mit den Millionenauflagen der italienischen Originale nur ein eher bescheidener Erfolg vergönnt. Der Zeitenspringer gehörte 2006 sogar zu den „Worstsellern“ des Wagenbach Verlags. Zudem steht der Autor im Ruf, eigentlich „unübersetzbar“ zu sein. Doch im März 2012 ist bei Wagenbach der neue Benni Brot und Unwetter erschienen, der auf dem deutschen Cover als Roman ausgewiesen wird, eigentlich aber eine durch eine Rahmenhandlung lose zusammengehaltene Erzählsammlung ist.
Benni kehrt darin zu seinen Ursprüngen zurück, denn sowohl die Rahmenhandlung als auch die Binnengeschichten kreisen um die der italienischen Leserschaft wohlbekannte „Bar Sport“, den Mittelpunkt des sozialen Lebens im beschaulichen Dorf Montelfo. Doch der ist nun bedroht: Investoren haben das Gelände gekauft. „Und hier, wo jetzt die Aussichtsterrasse der Bar ist, wollen sie Apartments bauen und ein Luxusrestaurant und einen Supermarkt und einen Tenniszirkel […]“. Die Dorfbewohner, allen voran die Jugendlichen Alice und Zwille, formieren sich zum Widerstand. Auch sprachlich bedient Benni sich wieder bewährter Techniken wie Wortspielen und Neuschöpfungen, literarischen Zitaten, sowie Anspielungen auf Filme und andere Phänomene der Populärkultur. Ein typischer Benni also – auf den der Wagenbach Verlag mit Mirjam Bitter eine übersetzerische Newcomerin angesetzt hat. Sie ist nach Pieke Biermann, Jochen Koch, Hinrich Schmidt-Henkel und Moshe Kahn nun immerhin schon die fünfte, die sich an der Übertragung von Bennis eigenwilligen, märchenhaft verschrobenen Satiren versucht. Und tatsächlich: Gravierende Missverständnisse und Verfehlungen des Registers, wie sie noch den Roman Der schnellfüßige Achilles (2006) prägten, finden sich hier nicht. Beispielsweise klingen die Äußerungen der Jugendlichen auch in der Übersetzung treffend umgangssprachlich („Hey, aber wär voll geil, wenn sie ein Hotel bauen“). Daneben fällt allerdings eine Vorgehensweise ins Auge, die sich häufig bei Übersetzungen aus dem Italienischen findet: das Beibehalten ausgangssprachlicher Formulierungen. „Basta“ ist dabei noch ein Ausdruck, der vermeintlich im Deutschen etabliert ist, wobei er jedoch auf Italienisch völlig wertfrei ‚genug‘ oder ‚es reicht‘ bedeuten kann, während ihm auf Deutsch immer ein Machtwort im Sinne von ‚Ende der Diskussion, keine Widerworte‘ anhaftet. Zudem flucht man „Bastardo“ und „Maledetti“, meldet sich am Telefon mit „Pronto“ und weist mit „Ecco“ auf etwas hin. Es stellt sich die Frage, ob so viel Lokalkolorit wirklich nötig ist, handelt es sich doch im Original um völlig unauffällige Formulierungen.
Die schwierige Übersetzung der Wortspiele ist dagegen größtenteils gelungen. Wenn im Original jemand fragt, ob er den Fernseher einschalten dürfe, und, nachdem er die Erlaubnis erhalten hat, das Gerät mit Benzin übergießt und in Brand setzt, dann hat Benni die Doppeldeutigkeit von „accendere“ – was sowohl „anschalten“ als auch „anzünden“ bedeutet – ausgenutzt. Im deutschen Text ist die Gewalteinwirkung auf das Elektrogerät etwas weniger drastisch, führt aber ebenso zu dessen Zerstörung:
„Darf ich den Fernseher anmachen?“ […] Eine Minute später war der Fernseher abgesoffen. Trincone das Aas hatte Essig und Öl sowie ein wenig Salz und Pfeffer genommen, das Gehäuse geöffnet und den Fernseher damit ‚angemacht‘.
Die stilprägenden Neologismen Bennis lassen sich umso besser im Deutschen nachbilden, je ausgefallener sie im Original sind, wie z.B. „badilmetallo“ bzw. „Schaufelmetal“, eine Spielart des Heavy Metal, der vorzugsweise in ländlichen Gegenden gespielt wird. Und auch für die bennitypische Verschmelzung von Wörtern lässt sich Mirjam Bitter einige gelungene Entsprechungen einfallen: Die „bolieti“, eine Art besonders glücklicher Pilze (boleti lieti), werden zu „Fröhrlingen“, also fröhlichen Röhrlingen, und aus „architettura schifodelica“ (aus schifo – Ekel – und psichedelica) wird „psychedeklige“ Architektur.
Doch dann stolpert man über eine Übersetzungsentscheidung, wenn auch nur beim direkten Vergleich mit dem Original: Als Opa Seher den Kindern die Geschichte der Bar erzählt, erwähnt er auch einen „Vertreter aus Mailand, der sich an einem Süßwarendelikt mitschuldig machte.“ Im Original wird die Episode um diesen Vertreter als bekannt vorausgesetzt, der Opa geht davon aus, dass sich der eine oder andere sicher noch daran erinnert: „Un rappresentante di Milano si rese complice di un delitto dolciario, che forse qualcuno di voi ricorda.“ In der Übersetzung fehlt der letzte Halbsatz, dafür folgt die fast eine Seite lange Beschreibung der Backwaren, die seit Jahren in der Auslage der Bar liegen und nie gegessen werden, so dass die Stammgäste jedes einzelne Gebäckstück beim Namen kennen und sich die Neuigkeit, dass jemand „die Luisona“ gegessen habe, wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitet. Was ist hier passiert? Hat sich die Übersetzerin eigenmächtig eine Erklärung für das im Original nur angedeutete „Süßwarendelikt“ ausgedacht? Nein, „La Luisona“ ist eine Episode aus Bennis früher Erzählsammlung Bar Sport, die in Italien einen gewissen Kultstatus innehat. 2006 zum 30-jährigen Jubiläum der Erstveröffentlichung von Bar Sport rief der Satiriker Beppe Grillo zum Beispiel einen „Luisona Day“ aus. Da Bar Sport aber nicht ins Deutsche übersetzt ist, kann die Episode für einen deutschen Leser nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Mirjam Bitter hat also für Brot und Unwetter kurzerhand die komplette Kurzgeschichte übersetzt und in den Text integriert. Eine interessante, aber nachvollziehbare Entscheidung. Merkwürdig ist nur, dass sich nirgendwo im Buch ein Hinweis auf den Ursprung der Passage findet.
So gut Bitters Übersetzung in diesen Punkten ist, umso fragwürdiger erweist sich ihre Übertragung der zahlreichen sprechenden Namen der Dorfbewohner. Sie spielen häufig entweder auf deren Beruf oder auf eine charakteristische Eigenschaft an. Der Umgang mit solchen Namen fordert vom Übersetzer immer eine Entscheidung, da niemals alle Nuancen in die Zielsprache transportiert werden können: Behält man zugunsten des Lokalkolorits die italienischen Namen bei, wäre das der Verständlichkeit der sprechenden Namen für einen deutschen Leser abträglich. Doch übersetzt man sie, kann das zu einer verwirrenden Diskrepanz zwischen dem italienischen Schauplatz und den eingedeutschten Namen führen. Mirjam Bitter (oder das Verlagslektorat?) entscheidet sich hingegen für eine dritte, eine Hybridlösung, die allerdings mehr als einmal fragwürdige Ergebnisse liefert. Einige Namen werden komplett übersetzt, wie „Nonno Stregone“ alias „Opa Seher“ oder „Piombino“, der in der Übersetzung „Zwille“ heißt. Andere werden hingegen unverändert übernommen. So heißt die Friseurin in beiden Sprachen Frida Fon, wobei dieser Name im Deutschen allerdings an ein Telefon denken lässt anstatt an den bei ihrem Beruf zu erwartenden Fön. Bei anderen Figuren wird dann eine eher merkwürdige Strategie verfolgt: Die sprechenden Namen werden zunächst ins Deutsche übersetzt um ihnen anschließend des Lokalkolorits wegen einen pseudo-italienischen Anstrich zu verpassen. Das führt zu Konstruktionen, die schließlich weder das eine noch das andere mehr erkennen lassen. Nehmen wir etwa „Ispido Manodoro“. Ispido bedeutet „struppig“, und er wird so genannt, „weil seine Haare immer voller Zement- und Eisenfeilstaub waren, sie standen also senkrecht vom Kopf ab wie Stacheln, oder wie ein Punk-Kamm, noch bevor der Punk aufkam.“ Seinen Nachnamen hat er, „weil er alles reparieren konnte, außer der Bosheit der Menschen“. Im Deutschen wird er zu „Igelo Goldhand“. Und was sollen die Namen „Rettganso“ oder „Bell’Eugele“ bedeuten? Im Original handelt es sich dabei um den Tierarzt Salvaloca, dessen Name (salva l’oca) sich als „Rette die Gans“ übersetzen ließe, und die „mit äußerst scharfen Augen ausgestattete Schneiderin“ Simona Bellosguardo, was wörtlich so etwas wie „schöner Blick“ bedeutet. Woher Ottavio Maolvurfio seinen Namen hat, lässt sich noch eher erkennen, auch wenn der zweiundneunzigjährige, fast blinde ehemalige Polizist, der keine Brille tragen will, im Original schlicht „Ottavio La Talpa“, also „der Maulwurf“, genannt wird.
Eigentlich ist eine solche makkaronische Sprachmischung oder Hybridisierung in Bennis Schreiben nichts Ungewöhnliches, immer wieder spielt er in seinen Texten mit Stilebenen, Dialekten oder verschiedenen Sprachen, um komische Effekte zu erzielen. Es ist also legitim, ähnliche Konstruktionen auch in der Übersetzung zu verwenden. Doch der Umgang mit den Personennamen erscheint hier inkonsequent und führt mehr als einmal zu verständnislosem Stirnrunzeln. Gerade Leser mit einigen Italienischkenntnissen – genügend, um die Ausspracheregeln zu beherrschen, aber zu wenig, um das Buch im Original zu lesen – könnten dazu neigen, die Namen italienisch auszusprechen, so dass der intendierte Wortwitz völlig verloren ginge. Allerdings gibt es kaum eine optimale Lösung, die alle Nuancen des Originals zufriedenstellend wiedergeben würde – gerade in Bezug auf die sprechenden Namen tendiert Benni offenbar tatsächlich zur Unübersetzbarkeit.
Doch zurück zum Schicksal der Bar Sport. Bereits Jahre zuvor hatte es einen ersten Kampf um die Bar gegeben, nachdem ein neuer Wirt beschlossen hatte, den gemütlichen Dorftreffpunkt in ein trendiges Szenelokal zu verwandeln, wovon man ihn recht schnell und mit vereinten Kräften wieder abbringen konnte. Und auch diesmal ist man entschlossen, die Bar nicht widerstandslos aufzugeben. Wer aber den obligatorischen Kampf des ‚Guten’ gegen das ‚Böse’, also den Aufstand der für Benni typischen kleinen Helden gegen die übermächtigen Investoren erwartet, wird enttäuscht. Zwar beginnen die Dorfbewohner sich zu formieren und sabotieren die Bagger der Holzfäller, doch der Fortgang der Rahmenhandlung wird immer wieder durch eingeschobene Geschichten unterbrochen, die alle für sich genommen skurril und lesenswert sind, allerdings verhindern, dass der Leser in das Buch eintauchen kann. So starten die Jugendlichen einen Erzählwettstreit, doch auch dieser Faden wird schon nach drei Erzählungen nicht mehr weiter gesponnen und bildet eher ein „Decamerone light“.
Gegen Ende des Buches werden die Bauarbeiten am Einkaufszentrum eingestellt, was allerdings weniger dem Engagement der Dorfbewohner zu verdanken ist als vielmehr der allerorts wütenden Finanzkrise, die auch vor Montelfo nicht haltmacht. Als den Investoren das Geld ausgeht, hinterlassen sie an Stelle der ehemaligen Piazza eine Bauruine. Das mag traurig erscheinen und einen Leser, der sich auf ein Happy End gefreut hatte, enttäuschen. Die Dorfbewohner zeigen sich dennoch optimistisch:
Und für uns ist jeder Tag kostbar. Und wir haben die Erzählungen. Und wir können die Dinge reparieren, ihr nicht. Und auch wenn uns der Wind entgegenbläst, wir haben immer Brot und Unwetter gegessen und können uns auch mit diesem messen.
Und so wird schließlich deutlich, was wirklich wichtig ist: Die Bar ist zwar der zentrale Ort des Dorfes, die eigentliche Gemeinschaft entsteht aber durch den gemeinsamen Schatz an Erzählungen und bildet so einen immateriellen, identitätsstiftenden Ort des Zusammenlebens – Montelfo bleiben also immer noch die Geschichten.
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Stefano Benni: Brot und Unwetter, aus dem Italienischen übersetzt von Mirjam Bitter, Berlin: Wagenbach 2011, 279 Seiten, €21,90
Stefano Benni: Pane e tempesta, Mailand: Feltrinelli 2009, 248 Seiten, €8,50
Stefano Benni, Jahrgang 1947, gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern Italiens. In seinen Texten verbindet er bissige Polit- und Gesellschaftssatire mit sprachlicher Experimentierfreudigkeit. Auf deutsch sind von Stefano Benni bisher erschienen: Terra (Roman, dt. von Pieke Biermann), Komische erschrockene Krieger (Roman, dt. von Pieke Biermann), Die Bar auf dem Meeresgrund (Erzählungen, dt. von Pieke Biermann), Baol oder Die magischen Abenteuer einer fieberhaften Samstagnacht (Roman, dt. von Jochen Koch), Geister (Roman, dt. von Hinrich Schmidt-Henkel), Die letzte Träne (Erzählungen, dt. von Hinrich Schmidt-Henkel), Der Zeitenspringer (Roman, dt. von Moshe Kahn), Der schnellfüßige Achilles (Roman, dt. von Moshe Kahn), Brot und Unwetter (Roman, dt. von Mirjam Bitter)
Mirjam Bitter ist Mitarbeiterin am Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften und neben Ansgar Nünning Mitherausgeberin des Online-Magazins KULT-online. Für den Wagenbach Verlag übersetzte sie neben Brot und Unwetter von Stefano Benni mehrere italienische Erzählungen für diverse Anthologien.
Nina Restemeier studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und schrieb ihre Diplomarbeit zum Thema „Die Satire und ihre Übersetzung am Beispiel von Stefano Benni“. Derzeit arbeitet sie als freie Übersetzerin.
Klar strukturierter, aussagekräftiger Artikel.
Endlich Übersetzungsrezensionen!