Allein vom Titel her scheint der Roman auf einen Verkaufstisch mit Büchern über Porno-Feminismus und Alpha-Mädchen zu passen: Bitterfotze der Schwedin Maria Sveland. Er weckt die Hoffnung auf eine vulgäre Emanzenlektüre, hält aber keineswegs, was er scheinbar verspricht, denn nicht einmal ansatzweise geht es in dem Roman – der eigentlich eine hybride Form aus Roman, Autobiographie und Reportage ist – um Sex à la Feuchtgebiete. Nicht einmal um schnöden Sex geht es.
Und dennoch ist der Titel irgendwie treffend: „bitterfotzig“ fühlt sich die Ich-Erzählerin Sara. Sie ist dreißig und verbittert: Seit der Geburt ihres Sohnes Sigge geht die ehemals gleichberechtigte Beziehung zu ihrem Mann Johan den Bach herunter. Nun ist sie allein es, die für Windeln und Waschmaschine die Verantwortung übernehmen muss. Sie nimmt sich eine Auszeit und verbringt eine Woche auf Teneriffa. Ihre Freunde sind argwöhnisch. Wenn es im Schwedischen den Begriff Rabenmutter gäbe, ihre Freunde würden sie als eine solche bezeichnen. Einsam, aber zufrieden verbringt sie die Abende auf dem Balkon und denkt über die Erwartungen nach, die sie ans Leben stellt. Von Liebe hatte sie geträumt, wie alle anderen, und auch von Gleichberechtigung in der Partnerschaft. Doch selbst in der schwedischen Gesellschaft, die regelmäßig als Vorzeigemodell in Sachen Gleichberechtigung gilt, sieht die gelebte Realität anders aus. Sara führt eine „bitterfotzige Liste“ mit Ungerechtigkeiten zwischen Mann und Frau und konstatiert wütend, dass Männern die Ehe gut tut, während verheiratete Frauen häufiger psychisch krank sind als unverheiratete. Punkt 1 auf der Liste: Eine Sozialstudie weist nach, dass Ehen viel leichter kaputtgehen, wenn der weibliche Partner erkrankt. Frauen mit Gebärmutterkrebs werden doppelt so oft geschieden wie gesunde Frauen. Bei Männern mit Prostatakrebs ist es genau umgekehrt.
Auch in Schweden hat der neologistische Titel Bitterfittan Furore gemacht, inzwischen hat sich diese Angry young woman-Story aber als eine Art programmatischer Roman etabliert und männliche Feministen empfehlen öffentlich, dass jeder Mann dieses Buch lesen sollte. Glaubt man euphorischen Literaturkritikern, wird das Buch enorm viel für die Gleichberechtigung in der Welt tun. Zwar ist diese auch in Schweden nicht ganz vollzogen, aber weiter entwickelt als in Deutschland und dank der lebhaften Diskussion, von der Svelands Roman nur ein Teil ist, auf dem besten Wege. In Deutschland hat der Roman wohl nicht diese Durchschlagskraft, denn dort wird immer noch Damen wie Eva Herman Gehör verschafft und die Gleichberechtigungsfrage findet seltsamerweise auf einem Pro-oder-Contra-Feuchtgebiete-Niveau statt. Neben dem kompromisslosen Blick, den die Erzählerin auf ihre Welt wirft, ist das Besondere an diesem Buch, dass man sich so gut in die Erzählerin hinein versetzen kann: der Sprachgebrauch und die beschriebene Gesellschaft sind enorm glaubwürdig und authentisch.
Auch auf Grund der Übersetzung von Regine Elsässer wird das Buch in Deutschland nicht die Anerkennung finden, die es verdient: Zugegeben, es ist ein schwieriges Unterfangen, einen Roman zu übersetzen, dessen Wirkungsweise so stark von dem ungekünstelten Sprachgebrauch abhängt. Doch leider geht in der Übersetzung etwas verloren, denn sie ist nicht in der Sprache geschrieben, die eine 30jährige verwendet, und bildet damit ungewollt einen frappierenden Kontrast zu dem doch ziemlich vulgären Titel. Spricht Sara beispielsweise über ihre eigenen Eltern, nennt sie diese „Vater und Mutter“, nicht etwa „mein Vater und meine Mutter“, wie es 30jährige üblicherweise tun. Ebenso verlieren die zornigen Aussagen der Erzählerin in der Übersetzung ihre Stärke und Authentizität: Gleich zu Beginn lautet es: „Jag är så förbannat trött, så ful, så jävla arg. Nej, inte arg, irriterad. Jag är så jävla irriterad.“ Sinngemäß wäre dies eher: „Ich bin mega müde, so hässlich, so verdammt wütend. Nein, nicht wütend, gereizt. Ich bin so verdammt gereizt.“ Aus der Feder der Übersetzerin klingt es folgendermaßen: „Ich bin unendlich müde, hässlich und wütend. Nein, nicht wütend, sauer. Ich bin schrecklich sauer.“ Gewiss, es ist schwierig, die verstärkenden Attribute authentisch zu übersetzen, doch die Verbitterung und der Ärger der Erzählerin bleiben in der abgeschwächten Übersetzung auf der Strecke. Auch als Saras Mann einige Tage nach der Geburt für einen Tag beruflich in den Norden Schwedens fliegt, obwohl sie mit der ganzen Situation überfordert ist und ihn förmlich anfleht, bei ihr zu bleiben, wird ihre Enttäuschung und vor allem ihr Ärger in der Übersetzung abgeschwächt. „Das hilft mir überhaupt nicht, dass du den ganzen Tag an uns gedacht hast“, denkt Sara, als er am späten Abend nach Hause kommt, so heißt es jedenfalls in der Übersetzung. Im Schwedischen dagegen ist Sara weitaus verärgerter, jedenfalls nach ihrem Sprachgebrauch zu urteilen: „Det hjälper mig inte ett skit att du tänkt på oss hela dagen“ (etwa: „Es hilft mir einen Scheißdreck, dass du den ganzen Tag an uns gedacht hast.“).
Überhaupt handelt es sich bei dieser Szene um eine Schlüsselstelle des Romans. Sara wird hier das erste Mal von ihrem Mann allein gelassen, insgesamt ist er in den ersten Monaten nach der Geburt Sigges zehn Wochen weg. Diese Enttäuschung ist einer der Punkte, die zum einen die Ehe sehr belasten und zum anderen in ihren Überlegungen immer wieder auftauchen. Interessanterweise fehlt hier in der Übersetzung ein ganzes Stück des Textes, ca. eine Seite, und das ist bitter, denn dies nimmt dem Text entscheidende Passagen – ob die Kürzung eine Entscheidung des Lektorats oder eine „Tat“ der Übersetzerin war, darüber lässt sich an dieser Stelle nur spekulieren. Johan sitzt also mit einem Bühnenbildner (im Deutschen ist er bemerkenswerter Weise Schriftsteller) im Arbeitszimmer und bespricht eine Inszenierung, während Sara verzweifelt versucht, Sigge zu stillen, der stattdessen aber nur wie am Spieß schreit. Es dauert lange, bis sie ihn beruhigen kann. Dieser Abschnitt handelt vom Körper einer stillenden Mutter, davon wie die Brüste hart und gespannt sind, wie sie brennen und die Milch aus ihnen heraus spritzt. Wie der Säugling vor Hunger brüllt und dennoch nicht trinken will. Wie die Mutter in Panik gerät und wütend wird, dass der Vater im Nebenzimmer ein Arbeitstreffen hat und ihr nicht zu Hilfe kommt. In der deutschen Übersetzung wird dieser Abschnitt reduziert auf einen einzigen Satz: „Was macht man, wenn man weit von zu Hause entfernt ist?“
Es ist schade, dass die Übersetzung dem Roman auf diese Weise sowohl das Identifikationspotential als auch die Brisanz nimmt, die ihn in Schweden so erfolgreich gemacht haben. Böse Zungen behaupten, Kiepenheuer & Witsch hätte den Roman lediglich gekauft, um den Fehler, Roches Feuchtgebiete abgelehnt zu haben, wieder gut zu machen. Dafür hätte es aber einer besseren Übersetzung bedurft.
Maria Sveland: Bitterfotze, übersetzt von Regine Elsässer, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009, 272 Seiten, 8,95 €
Maria Sveland: Bitterfittan, Stockholm: Norstedts 2007, 221 Seiten, 153 SEK
Maria Sveland wurde 1974 in Örebro, Mittelschweden, geboren. Die Journalistin und Schriftstellerin absolvierte u.a. eine Ausbildung als Radiojournalistin. Für ihre Radioreportage Som en hora (dt. Wie eine Hure) erhielt sie 2003 den Ikaropreis. Bitterfotze ist ihr literarisches Debut.
Regine Elsässer, geboren 1946, lebt in Mannheim und Frankreich. Sie ist Mitglied der Dudenredaktion und Mitinhaberin eines Frauenbuchladens. Sie übersetzt aus dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen.
Christine Becker hat im Frühjahr 2005 den Diplomstudiengang Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf abgeschlossen. Seit 2006 ist sie Lektorin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Stockholm, Schweden.
Liebe Christine Becker, Ihre Rezension gehört zum Klügsten, was wir über
dieses Buch lesen konnten. Zudem auf einer empfehlenswerten Seite!
Als Journalist, einstiger DaF-Student und Dänisch/Norwegisch-Sprecher kann ich mich Frank Milautzckis Kommentator nur anschließen: Selten habe ich eine derart überzeugende Rezension gelesen. Es ist eine Wohltat, wenn ein harsches Urteil nicht im Ton der Empörung vorgebracht sondern nachvollziehbar anhand von Textstellen belegt wird, Stellen, die die These von der unzulänglichen Übersetzung wirklich belegen.
Leider hat mich die Rezension in ein kleines Dilemma manövriert: Einerseits ist mir die Lust, das sicherlich lesenswerte Buch schnell mal auf Deutsch zu lesen, vergangen. Andererseits würden mir bei der Lektüre des Originals die Nuancen, die Christine Becker in ihren Beispielsätzen herausgearbeitet hat, vielleicht selbst entgehen. Und wer weiß: vielleicht ist ja auch das neue Buch von Sveland, Häschen in der Grube, so mäßig übersetzt.
Med venlig hilsen, Chris Bleher