Existieren die Übersetzer noch immer nicht – obwohl es ohne sie keine Verbreitung von Weltliteratur gäbe und also auch viele der Bücher nicht, die in der aktuellen ZEIT Beilage Literatur (N° 12, März 2009) besprochen werden? Gewiss gibt die ZEIT dem Thema der Übersetzung ab und an Raum; man denke an so manchen großen Text von Dieter E. Zimmer oder an die Glossen eines Harry Rowohlt. Und doch zeigt die Lektüre der aktuellen Ausgabe, wie wenig Bedeutung der übersetzerischen Leistung für die besprochenen Bücher beigemessen wird. Wenngleich doch hier die Zeilen nicht gar so knapp bemessen sind, also die „Tundra des Layouts“, so Harry Rowohlt in seiner Kolumne „Lost in Translation“, gar nicht so bedrohlich sein sollte.
So finden in den meisten der hier versammelten Texte die Übersetzer erst gar keine Erwähnung, nicht einmal in der ausführlichen Reportage von Susanne Mayer über Per Olov Enquist. Wolfgang Butt wird hier lediglich brav in den Buchinformationen als Übersetzer von Ein anderes Leben benannt – ein Minimum an Würdigung, das leider Sabine Giersberg als Übersetzerin von Héctor Abads Brief an einen Schatten nicht widerfährt.
Die Nichtbeachtung der Übersetzung ist jedoch fragwürdig für den Gehalt der jeweiligen Besprechungen: Laut Tanya Lieske beschreibt die Romanfigur Rosamond in Jonathan Coes Der Regen, bevor er fällt die Visualisierung von Szenen „genau und in möglichst einfachen, gesprochenen Worten“. Und Birgit Dankert erläutert zu Marie-Florence Ehrets Tochter der Krokodile: „Ehret erzählt ebenso einfach wie anspruchsvoll“. Dabei stammen die Wörter doch von den Übersetzern Andreas Gressmann und Stefanie Schäfer! Ludger Lütkehaus verliert über die beiden Übersetzerinnen des Werkes von Kawakami Hiromi aus dem Japanischen, Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler, kein Wort. Jedoch behauptet er, die Autorin treffe „ihren eigenen Ton“ – den die deutsche Leserschaft ja doch durch die Sprache der Übersetzerinnen erst erfährt. Und was will uns eigentlich Elisabeth von Thadden sagen, wenn sie zu Dekonstruktion des Christentums schreibt: „[Jean-Luc] Nancys Aufsätze sind extrem schwer zu lesen, trotz der nachgerade heroisch anmutenden Leistung der Übersetzerin“ – deren Name Esther von der Osten der geneigte Leser unterhalb des Textes nachlesen mag? Daneben mutet die schlichte Erwähnung „Wolfgang Promies hat sie übersetzt“ in Hans ten Doornkaats Besprechung des Kinderbuchs Die Rede des Bären schon wie eine ernst zu nehmende Würdigung an.
Christian Seiler weist in seiner Besprechung von Junot Díaz‘ Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao darauf hin, Díaz formuliere „gern virtuos“. Auch hier bleibt unklar, ob er sich auf das Original oder auf die Übersetzung bezieht. Und dabei ist der Aspekt der Sprache alles andere als unerheblich in diesem Fall, schreibt er doch weiterhin: „Die in die Erzählung eingebackenen spanischen Worte und Brocken laden die Erzählung mit authentischer Immigrantensprache auf, vulgär, witzig, direkt, nicht wahr, Nigger?“ Abgesehen von der Frage, ob es eine authentische Immigrantensprache in einem literarischen Text geben kann, wird hier eine eklatant wichtige Frage gänzlich übergangen: Läuft diese „trashkulturelle Immigrantensprache“, wie er schreibt, nicht Gefahr, im Deutschen zu exotistischem Lokalkolorit zu verkommen? Und ist im deutschsprachigen Raum nicht die Vorstellung von Immigrantensprache eine gänzlich andere? Bei einem solchen Werk drängt sich doch geradezu die Frage auf, wie Eva Kemper in ihrer Übersetzung mit dieser Problematik verfahren ist!
Und doch, es finden sich ebenfalls Beispiele, bei denen die Übersetztheit der besprochenen Bücher auch zum Thema gemacht wird. Bei Katharina Döbler wird deutlich, dass sie tatsächlich das Original Consider the Lobster von David Foster Wallace gelesen hat und hier bespricht. Denn erst verbunden mit einem großen, wenn auch eigentlich nichts sagenden Lob an den Übersetzer nennt sie den deutschen Titel: „Am Beispiel des Hummers (so der geniale deutsche Titel, wie überhaupt Marcus Ingendaay als Wallace-Übersetzer sämtliche Preise verdient hätte)“. Doch auch in dieser Besprechung bleibt letztendlich unklar, ob es sich bei den von ihr benannten „sehr unerwarteten und durchdachten Worten“ um die des Autors oder des Übersetzers handelt.
Wie erfreulich bedacht und mit Sinn für den Übersetzungsprozess äußert sich dahingegen Adam Soboczynski in seinen Ausführungen zu Gogols Die Nase:
Und wie lohnend es doch ist, diesen Roman in der neuen Übersetzung von Vera Bischitzky zu lesen […]. Sie meidet jede willkürliche Modernisierung und ‚verbessert‘ auch nicht Gogols wunderbar umständliche, ausufernde Satzkonstruktionen oder manierierte Wendungen: Gogols Figuren halten etwas ‚mit der Hand‘ fest (womit sonst), oder sie nicken mit dem Kopf (womit sonst?).
Harry Rowohlts Kolumne liest sich vor diesem Hintergrund als besondere Provokation: Aufgefordert, sich zum Übersetzen zu äußern, aber bitte nicht zu lang, schreibt er hier von diesem und jenem, aber eben nicht vom Übersetzen: „Hier müsste ich Ihnen eine schöne lange Passage aus dem besten Roman, der je geschrieben wurde, Auf Schwimmen-zwei-Vögel von Flann O’Brien, zitieren, einmal im Original, sozusagen zur Abschreckung, und einmal auf deutsch, aber das Layout, das Layout“. Zwar unterstreicht dies die bedauernswerte Nichtbeachtung der Übersetzer, jedoch wird hier zugleich die Chance verpasst, die Leser tatsächlich für das Thema der Übersetzung zu gewinnen.
Wie die Nase zum Menschen, so gehören die Übersetzer mit ihrer Sprache zu übersetzten Werken. Mit Gogol, von Soboczynski wohl in den Worten von Vera Bischitzky aus Die Nase zitiert, dürften somit die Übersetzer von sich behaupten: „Sie irren, mein Herr. Ich existiere an sich“.
Liebe Frau Gerling,
wie recht Sie doch haben!! Und wie sehr ich mich gefreut habe, daß zumindest in meinem Fall einmal etwas ausführlicher auf die Übersetzung eingegangen wurde (die mich drei Jahre lang buchstäblich Tag und Nacht beschäftigt hat – manchmal fiel mir das lange gesuchte Wort irgendwo im Walde ein, während eines Spaziergangs, oder auch ganz plötzlich in der Nacht, Bleistift und Blatt lagen schon griffbereit neben dem Bett!!). Allerdings eine kleine Korrektur: es handelt sich in meinem Fall nicht um „Die Nase“ sondern um den Roman „Tote Seelen“ von Nikolai Gogol.
Herzliche Grüße
Vera Bischitzky
Liebe Frau Bischitzky,
es freut mich sehr, dass Ihnen mein Text zusagt und Sie sich hier als Übersetzerin wahrgenommen sehen. Eben dies ist ja das Ziel von Relü: Die ÜberetzerInnen sichtbar zu machen. Ihre kleine Schilderung des Übersetzungsalltags unterstreicht nochmals, wie sehr das Übersetzen eine kreative Tätigkeit ist, die es der deutschsprachigen Leserschaft erst ermöglicht, übersetzte Autoren in literarischer Qualität lesen zu können!
Besten Dank auch für den korrigierenden Hinweis! Ich bitte diesen Lapsus zu entschuldigen.
Beste Grüße
Vera Gerling
Hej,hej Vera!
vi glädjar oss över dina framgångsrika översättnings arbete till rysk literatur.
Jag önskar dir även in nästa året fortfarande mycket framgång!
Med vänliga hälsningar
JoAkim Tschonert och Petra Tschonert