„Nur Handke schreibt noch so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, sagt Georges-Arthur Goldschmidt, der französisch-deutsche Autor und Übersetzer Handkes, und ehrt damit seinen Schriftstellerkollegen – wie er Wahlpariser – als einen der wenigen deutschen Literaten, die sich ihre eigene Sprache bewahrt haben. Im wahren Leben, in Frankreich wie in Deutschland, war es genau diese Eigenwilligkeit, die ihn um Rang und Ehre brachte:
In Paris nahm die Comédie-Française als Reaktion auf Handkes Teilnahme am Begräbnis des Serbenführers Milosevic sein Stück Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1989) vom Spielplan, in Düsseldorf zog der Stadtrat des „Petit Paris“ den Heinrich-Heine-Preis an ihn zurück. Seine „Kunst, Fragen zu stellen“, wie der Titel des Stücks auf Französisch lautet, fand dennoch von der Literatur in die Wirklichkeit: Die Reaktionen der Franzosen und Deutschen in den letzten Monaten entfachten Grundsatzdiskussionen über die Zensur durch den Kulturapparat hier, über die Freiheit der Kunst dort.
Im Interview mit ReLü spricht Goldschmidt als Übersetzer über seine Erfahrung, in zwei Sprachen zu Hause zu sein, gerade deshalb die Einzigartigkeit jeder einzelnen Sprache intensiv zu erleben und ständig Unübersetzbarem gegenüber zu stehen. Doch ist dies für ihn weniger ein Problem, das „Zappeln über der Leere der Zwiesprache“ stellt für ihn vielmehr das Schönste am Übersetzen, den Gipfel der Sprachlichkeit dar. Daher übersetzt er am liebsten sein eigenes Werk selbst.
Ihre je eigene Sprache sprechen auch die Erzähler bzw. Protagonisten unserer Neuvorstellungen: Ein Bischof, der zwar nicht Papst, dafür aber Konsument geistiger wie leibhaftiger Nahrung wird, eine Perlentaucherin, die im Pazifik die Salbung des „Narbenmuseums“ ihres leprakranken Körpers sucht, ein moderner Ulysses, dessen Leben sich mit dem Roman des an den Rollstuhl gefesselten und isoliert lebenden Achilles eigenwillig mischt – die dritte Ausgabe der ReLü lädt dazu ein, sich in die erlebten, erinnerten und erdachten Welten solch skurriler Gestalten zu begeben, die den Federn Manuel Vázquez Montalbáns, Jeff Talarigos oder Stefano Bennis und ihrer Übersetzer Michael Hofmann, Almuth Carstens und Moshe Kahn entsprungen sind. Dabei gilt es, sich von ihrem Esprit, ihrer Poesie und ihrem Slang bezwingen, berühren und provozieren zu lassen, denn nicht umsonst liegt der Reiz ihrer Geschichten in der Sprache, in der sie erzählt werden. Die Eigenheiten des amerikanischen Humors in Going for the Bronze von Sloane Tanen zum Beispiel oder die Farbigkeit spanischer Umgangssprache in Pablo Tussets Kultbuch Das Beste, was einem Croissant passieren kann ließen die Übersetzer gewiss häufiger über der „Leere der Zwiesprache“ zappeln. Lesen Sie selbst, wie sie sich über den Abgrund der Sprachlosigkeit ans deutsche Ufer retteten.
Stefanie Hattel (aus Paris) und Marie-Christin Starck (aus „Petit Paris“) für die ReLü