Wenn ein achtzehnjähriger armer Waisenjunge die Quizshow Wer wird Milliardär? gewinnt, kann es nicht mit rechten Dingen zugehen. Davon sind die Produzenten der indischen Version von Wer wird Millionär? überzeugt und lassen Ram Mohammad Thomas wegen Betrugs verhaften. Eine Rechtsanwältin nimmt sich seiner an, um ihn zu verteidigen. Anhand der einzelnen Fragen aus der Show erzählt ihr der Junge nun Episoden aus seinem Leben, durch die er die entsprechenden Antworten wissen konnte. Es folgt eine spannende, vielseitige Geschichte, in der Ram Mohammad Thomas immer wieder ums Leben und Überleben kämpfen muss; sei es am äußersten Rand der indischen Gesellschaft, bei einer ehemals berühmten Bollywood-Schauspielerin oder in einer australischen Diplomatenfamilie.
Die Struktur des Erzählens an der Quizshow zu orientieren, ist eine gelungene Idee. Und auch wenn deutlich ist, dass in jeder einzelnen Geschichte, die erzählt wird, die Antwort auf eine Quizfrage zu suchen ist, vergisst man dies schnell, da die Erzählungen des Jungen in ihrer Vielseitigkeit und Anschaulichkeit fesseln. Das Gute muss sich gegen das Böse behaupten und mithilfe vieler Zufälle, für die wohl das Schicksal zuständig ist, gelangen wir zu einem Happy End, das leicht zum Kitsch neigt. Auch vermittelt der Beginn des Romans zunächst den Eindruck, dass Vikas Swarup zur negativ stereotypisierenden Darstellung Indiens neigt. Dieser Verdacht legt sich aber schnell und man taucht vollkommen in die humorvolle und auch tragische Erzählung von Ram Mohammad Thomas ein.
Was die Auseinandersetzung mit der indischen Kultur betrifft, lassen sich Unterschiede zwischen dem englischen und deutschen Text feststellen. Zum Beispiel fügt die deutsche Ausgabe am Ende des Romans die Übersetzung einiger indischer Begriffe an, die im laufenden Text kursiviert werden. Leider tauchen diese in der Reihenfolge der Erwähnung auf, was das Wiederfinden erschwert. Zudem wird nicht alles übersetzt. Die Auswahl, die sich überwiegend auf Speisen und Kleidung beschränkt, wirkt fast willkürlich. Positiv anzumerken ist jedoch, dass der Übersetzer nicht einfach jeden im englischen Text kursivierten Begriff unreflektiert übernimmt, sondern sich mit seiner Verständlichkeit im deutschen Kulturraum auseinandersetzt und selbst die Entscheidung trifft, ob eine Kursivierung nötig ist und ob eine Erklärung am Ende des Romans hilfreich wäre, um uns die indische Kultur näherzubringen. Auch englische Eigennamen werden kursiv gesetzt. Hierin wird deutlich, dass in der deutschen Version die Konfrontation mit verschiedenen Kulturräumen noch komplexer wird. Dies stellt auch den Übersetzer vor besondere sprachliche Schwierigkeiten. So bedarf es zum Beispiel einer Ergänzung, als es um die Darstellung des australischen Akzents geht: Ram Mohammad Thomas findet Spaß daran, die australische Sprechweise nachzuahmen, die er in dem Satz „G’day Maite, see you at aight at India Gaite“ verkörpert sieht. Als die Polizei einen anonymen Anruf erhält, der sie auf die Spionagetätigkeit eines australischen Diplomaten hinweist, verwendet der Anrufer eben diesen Satz. Daraus folgert die indische Polizei, dass der Verräter australischer Herkunft sei. Im Englischen reicht eine Anspielung auf den Satz „G’day Maite …“ durch Umschreibung der gebrauchten Worte, und der Leser versteht, dass der Junge dieser Anrufer war. Im Deutschen reicht dies nicht, da die Bedeutung des Satzes „G’day Maite …“ englischunkundigen Lesern nicht bekannt ist. Der Bezug zu Ram Mohammad Thomas kann nur durch die Wiederholung des kompletten australisch-englischen Satzes hergestellt werden. Die Übersetzung der Umschreibung, die das Original liefert, klärt nun auf Deutsch den Inhalt der zitierten Worte. Ein geschickter Einfall des Übersetzers.
Im Ganzen überzeugt die Übersetzungsarbeit von Bernhard Robben. Er trifft die gewählte Ausdrucksweise von Ram Mohammad Thomas gekonnt, die zunächst auch im Englischen ein wenig überrascht, sich aber aus der frühen Erziehung des Jungen durch einen Priester erklärt. Doch tauchen ab und zu Stellen auf, die ihre Übersetztheit zu verstehen geben. Zum Beispiel das „blitzende Blaulicht“ („flashing red light“), das sich leitmotivisch durch den Text zieht. Nicht immer wird „flashing“ mit „blitzend“ übersetzt und ist auch nicht nötig, da „red light“ für sich nicht „Blaulicht“ bedeutet. Nur durch „flashing“ erhält es die deutsche Bedeutung „Blaulicht“. Auch wenn das „blitzende Blaulicht“ schön und bedrohlich klingt, so ist es im Original doch nur ein Blaulicht. Und warum ein Mädchen zunächst ihr Vordiplom (im Englischen steht dort „intermediate“) macht, bevor sie zur Universität geht, ist nicht verständlich. Wahrscheinlich sind dies Flüchtigkeitsfehler, aber dennoch werfen sie kleine Schatten auf den sonst gelungen übertragenen Text und erinnern uns daran: Wir lesen eine Übersetzung, nicht das Original.
Dennoch ist das Erstlingswerk Rupien! Rupien! von Vikas Swarup auch auf Deutsch ein lesens- und liebenswertes Buch über die Schwierigkeiten des Lebens und die verschlungenen Wege des Schicksals, mit dem uns Autor wie Übersetzer Indien ein Stück weit näher bringen.
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Vikas Swarup: Rupien! Rupien!, aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Köln: Kiepenheuer und Witsch 2005, 337 Seiten
Vikas Swarup: Q & A. London: Doubleday 2005, 302 Seiten
Vikas Swarup hat als indischer Diplomat in der Türkei, in den USA, in Äthiopien und Großbritannien sowie im Außenministerium in Neu Delhi gearbeitet. „Rupien! Rupien!“ ist sein erster Roman, wurde bereits in über 16 Sprachen übersetzt.
Bernhard Robben studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie und arbeitete zunächst als Deutschlehrer in Nordirland. Seit 1986 arbeitet er als freier Übersetzer und Journalist. Er ist auf irische und angelsächsische Literatur spezialisiert und übersetzt Autoren wie Hanif Kureishi, Ian McEwan, Brian Moore und Frank Ronan. 1995 bis 2003 war er zudem ehrenamtlicher Bürgermeister von Brunne.