Wenn ein Fünfzigjähriger versucht, sich in das Leben von Siebzehnjährigen einzudenken, dann ist zunächst einmal Skepsis angebracht. Kann das funktionieren? Im Fall von Melvin Burgess’ Roman Doing It funktioniert es sogar so gut, dass das Buch in England einen Skandal auslöste. Die Offenheit, mit der hier jugendlicher Umgang mit Sexualität geschildert wird, mag manch einen Leser schockieren, und doch werden sich einige in den Helden wiedererkennen können.
Der Leser beobachtet die drei Freunde Dino, Ben und Jonathon auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, und die Probleme, die sich ihnen dabei stellen, sind so bizarr und doch so realistisch, dass man mehr als einmal laut auflachen möchte. Dino hat schon seit Jahren ein Auge auf Jackie geworfen, und auch sie scheint ihm nicht abgeneigt, dennoch findet sie immer wieder Gründe, warum sie und Dino „es“ nicht tun sollten. Jonathon und Deborah verstehen sich blendend, aber Jonathon ist sich nicht sicher, ob er sie als Freundin will, immerhin ist sie etwas „mollig“, worüber seine Freunde, und allen voran er selbst, sich mit Begeisterung lustig machen. Und der stille, hübsche Ben, der zur Verwunderung aller keine Freundin hat und auch keine zu suchen scheint, hat seit über einem Jahr eine geheime Affäre mit seiner jungen Lehrerin, die aber langsam eine Richtung einschlägt, die Ben nicht mehr geheuer ist.
Die drei Geschichten werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, und immer wieder kommen dabei die Jungs und Mädchen selbst zu Wort. So richtig sympathisch ist keiner von ihnen, dafür sind sie alle in der einen oder anderen Hinsicht zu feige, aber irgendwie gewinnt man sie doch lieb, denn alle Figuren mit ihren Stärken und Schwächen sind erfrischend wirklichkeitsnah und detailliert gezeichnet.
Bemerkenswert ist die Entscheidung des Carlsen Verlages, den Namen des Übersetzers auf dem Buchtitel zu nennen. Im Fall von Doing It handelt es sich jedoch weniger um Ehrerbietung gegenüber dem Handwerk des Übersetzers als um eine gezielte Verkaufsstrategie, denn Übersetzer Andreas Steinhöfel ist in der Jugendbuchszene kein Unbekannter. Seine mehrfach ausgezeichneten Romane über Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst (wie Die Mitte der Welt) beweisen, dass Steinhöfel sich in der Materie auskennt und qualifizieren ihn so für die Übersetzung dieses Werkes. Die ist streckenweise recht frei („‚Are you having an affair?‘ said Dino. As soon as it was out of his mouth he nearly fainted.” „‚Es ist eine Affäre, stimmts?‘ sagte Dino. Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, wollte er am liebsten tot umfallen.“) und an einigen Stellen umgangssprachlicher als das Original, aber alles in allem hat Steinhöfel einen in sich stimmigen, flüssigen Text geschaffen, jedem der Jugendlichen einen eigenen Ton verpasst und die Jugendsprache treffend wiedergegeben („Kein Problem, Alter!“).
Problematischer sind die Anglizismen. Der studierte Anglist und Amerikanist ist bekannt dafür, dass auch seinen eigenen Texten ein Hauch von Übersetzung anhaftet, kein Wunder also, wenn dies auf seine Übersetzungen ebenfalls zutrifft. Dino schmeißt eine Party, und alle seine Gäste haben „eine echt gute Zeit.“ ‚Was war das für eine gute Zeit‘ wäre eventuell angebracht, wenn sich die greisen Herren Dino, Ben und Jon sechzig Jahre später an ihre Erlebnisse erinnern – auf Dinos Party haben die Gäste vermutlich einfach ihren Spaß.
Leider scheint außerdem am Lektorat gespart worden zu sein, die zahlreichen Tipp- oder Druckfehler, die sich in den Text eingeschlichen haben, wären sicher mit geringem Mehraufwand zu vermeiden gewesen. Doch das sind letzten Endes nur Kleinigkeiten, die das Lesevergnügen nur unwesentlich trüben. Ein überaus empfehlenswertes Buch für Jugendliche und solche, die es mal waren. Beim Lesen hat man durchaus eine gute Zeit – und vor allem Spaß!
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Melvin Burgess: Doing it, aus dem Englischen übersetzt von Andreas Steinhöfel. Hamburg: Carlsen 2004, 345 Seiten
Melvin Burgess: Doing it. London: Penguin 2003. 330 Seiten
Melvin Burgess, geboren 1954, gehört zu den umstrittensten Jugendbuchautoren seiner Zeit. Seine Romane werden für ihre brisanten Themen und ihre drastische Sprache gleichermaßen verschrien und gefeiert: Junk, ein Roman über Drogenabhängigkeit wurde 1996 mit der Carnegie Medal ausgezeichnet, Doing It wurde 2005 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert; viele weitere seiner Bücher wurden ausgezeichnet oder für Preise nominiert.
Andreas Steinhöfel wurde 1962 geboren. Der studierte Anglist und Amerikanist arbeitet als freiberuflicher Autor, Rezensent, Übersetzer und Drehbuchautor. Zu seinen bekannten Büchern gehören die Romane „Die Mitte der Welt“ und „Der mechanische Prinz“ sowie die Erzählsammlung „Defender“. Er übersetzt unter anderem die Kinderbücher von Roddy Doyle. Andreas Steinhöfel wurde sowohl für seine Romane als auch für seine Übersetzungen ausgezeichnet und für diverse Preise nominiert.